Der unersättliche Spinnenmann
Dachterrasse, ein paar Schritte von der kleinen Bühne entfernt, und bestellten Whisky. Eduardo bestand darauf, dass es die beste Sorte war, und wollte sogar sehen, wie alt er war. Der Kellner war ein Mann um die fünfzig, ein typisches Produkt der Diktatur des Proletariats. Er sah Eduardo verächtlich an, stellte Flasche und Gläser auf den Tisch, wandte uns würdevoll den Rücken zu und zog sich zurück. Es war offensichtlich, dass er ohne Cäsar, Bürgertum und Gott leben wollte, auch wenn es ihn das Trinkgeld kostete. Später erfuhr ich von Ana Maria, dass Eduardo Berater des Internationalen Währungsfonds war. Wir tranken und erzählten uns aus unserem Leben. Teresa und Ana Maria waren Dozentinnen an einer Universität in Lima. »Und seit Ewigkeiten miteinander befreundet«, sagten sie lachend. Ich hatte wenig zu erzählen. Geschieden, allein lebend, finanziell total am Ende und ohne irgendeine Ahnung, was mit mir und meinem Leben in der nächsten Minute geschehen würde. Das war’s. Aber ich wollte nicht schlecht von mir selbst reden. Besser, ich sagte irgendwas Beliebiges:
»Im Moment male ich gerade.«
»Ah, Lucio hat erzählt, du seist Journalist.«
»Das war ich. Ist aber ein gefährlicher Beruf.«
»Ja, natürlich. Werden hier auch Journalisten umgebracht?«
»Nein, hier verpasst man ihnen nur eine Narkose.«
»Oh …«
»Malen ist viel unverfänglicher. Und ich verdiene mehr damit.«
»Ah …«
So ließen wir die Motoren warm laufen und tranken Whisky.
Irgendwann schwiegen wir. Es gab nichts mehr zu sagen. Um die Sache wieder in Gang zu bringen, fiel mir nichts anderes ein, als eine Lüge aufzutischen:
»Im Moment bin ich in einer guten Phase. Allein zu leben ist sehr gut für einen.«
»Kann ich gar nicht glauben«, sagte Eduardo.
»Also ich brauche das schon«, meinte Teresa. »Ganz für mich zu sein. Wann immer es geht, fahre ich allein in die Berge. Wir haben dort ein Landhaus. Ich gebe den Angestellten frei und bin ganz allein mitten in den Bergen, ohhh, faszinierend! Das ist eine transzendentale Erfahrung.«
Ana Maria sah mich mit ihren sanften schwarzen Augen an. »Indianerinnenaugen«, fuhr es mir durch den Kopf. Na gut, ich weiß nicht mehr, ob ich es dachte oder mir nur einbilde, dass ich es dachte. Sanfte Augen, von einer unheimlichen Schlichtheit. Fast schüchtern fragte sie mich:
»Ob das wirklich so gut ist?«
»Was?«
»Allein zu sein.«
Teresa gab mir keine Zeit zu antworten und warf ein:
»Ach, lass uns nicht davon anfangen, Ana Maria.«
Ana Maria sah zu Boden. Plötzlich schwiegen alle, es entstand so etwas wie ein Vakuum. Ich spürte die Spannung: Die Whiskyflasche und die Gläser drohten jeden Moment zu platzen. Einen Augenblick lang wusste ich nicht, wohin ich sehen sollte. Eduardo, daran gewöhnt, Meinungsführer zu sein, nahm die Situation in die Hand und sagte:
»Es muss dir nicht unangenehm sein, Kubaner. Ich werd’s dir erklären. Ich glaube, es ist eigentlich kein Geheimnis.«
Teresa versuchte ihn zum Schweigen zu bringen:
»Oh, Eduardo, bitte. Wir sind hier, um uns zu amüsieren. Wollen wir das Thema doch lieber lassen.«
Wir hatten alle schon ein paar Gläser getrunken, und Eduardo, glaube ich, noch ein paar mehr. Die Flasche war nur noch viertel voll. Ich schaute auf die Uhr. Halb zehn. Ja. Wir tranken sehr schnell. Eduardo beharrte darauf, es mir zu erklären. Er redete wie die Unterhändler der Vereinten Nationen in internationalen Konflikten:
»Ich verrate keine Geheimnisse, Teresa. Weißt du, was los ist, Kubaner? Etwas ganz Normales: Ana Maria versteht sich gerade nicht so gut mit ihrem Mann, der ein guter Freund von mir und ein echter Caballero ist. Überhaupt nicht gut. Sie ist traurig wegen dieser bedauerlichen Situation, und er ist auch ziemlich bedrückt deswegen. Ein einfacher Sachverhalt, der bald geklärt sein wird, ohne weitere Konsequenzen.«
Teresa fügte hinzu:
»Es war nicht leicht, sie von zu Hause loszueisen. Aber sie muss sich amüsieren, und ja keine Depressionen, sich ein bisschen ablenken. Die Scheidung beginnt doch gerade erst.«
Wütend fiel ihr Eduardo ins Wort:
»Von wegen Scheidung! Ich glaube nicht, dass das Aussicht auf Erfolg hat. Es macht keinen Sinn.«
»Oh doch! Eine Aussöhnung ist ganz und gar unmöglich, Eduardo, das weißt du genau.«
Ana Maria schwieg. Die beiden hatten sich ein bisschen erregt. Eduardo wandte sich Ana Maria zu:
»Ich finde, das ist eine unreife und überstürzte Reaktion. Du wirst das
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