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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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an.
    »Treibjagd?«, fragte Clovis.
    Leise drangen die Stimmen aus dem Studierzimmer zu ihnen:
    I’m walking down the prom last night as peaceful as can be …
    »Es ist ein Spiel, das ich selbst erfunden habe«, sagte er.
    »Erzählen Sie.« Auf den Ellbogen gestützt, beugte Clovis sich interessiert vor.
    »Nun, wir brauchen ein Reh, und wir brauchen Hunde, zwei Sorten. Wer will das Reh sein?«
    Sie sahen von einem zum anderen. Charlies Blick verharrte bei den Frauen, blieb aber schließlich an Ernest hängen.
    »Sie!«
    Es wurde gelacht – Ernest war derjenige von ihnen allen, der am wenigsten einem Reh ähnelte. Er war mindestens so groß und breitschultrig wie John.
    »Ernest?«, fragte Patience. »Wieso ausgerechnet Ernest?«
    »Müssen wir dazu im Haus herumrennen?«, wollte Charlotte skeptisch wissen.
    »O ja, wie wilde Tiere durch Gestrüpp und Unterholz«, sagte Traversham-Beechers, und Clovis schlug lachend mit der Hand auf den Tisch.
    Die Lampen brannten immer noch auf niedriger Flamme. Traversham-Beechers legte beide Hände flach auf den Tisch und beugte sich vor. Die Kerzen ließen sein Gesicht bizarr anmuten, veränderten die Form seiner Züge auf eine irgendwie unheimliche Art. Seine Nase schien zu zucken, seine Augenbrauen hüpften auf und ab, seine Zähne schimmerten gelb im Kerzenlicht.
    »Sie werden von der Herde getrennt«, erklärte er. »Sie sind ganz allein und werden gnadenlos gejagt. Die Hunde werden Sie aufspüren … und hetzen … und dann wird man Sie erschießen.«
    »Wieso Ernest?«, wiederholte Patience, wurde aber nicht beachtet.
    »Und wie genau soll das gehen?«, fragte Emerald, trotz ihres Misstrauens dem Mann gegenüber interessiert und fasziniert von der Idee.
    »Folgendermaßen. Als Erstes brauchen wir ein Glas …«
    Er huschte zur Anrichte und griff sich ein frisches Glas. Dann wählte er sorgfältig eine Karaffe aus, eine mit Portwein, öffnete sie und schenkte die dunkle Flüssigkeit ein, bis sie sich fast über den Rand wölbte. Die Anwesenden beobachteten ihn gebannt. Das Geräusch des Gesangs drang unter der Tür hindurch und ringelte sich, während sie den Mann beobachteten, wie Rauch um sie herum.
    Er nahm das im Kerzenlicht schimmernde Glas, trug es, ohne einen Tropfen zu verschütten, zum Tisch und stellte es vor Clovis.
    »Als Erstes der Herr des Hauses«, sagte er. »Das Reh muss durch die Spürhunde von der Herde getrennt werden. Jeder der Spürhunde – also wir«, erklärte er ihnen, untermalt von einem bewundernswerten Zwinkern, »muss eine Möglichkeit finden, das Reh zu isolieren, bevor der Rest der Meute – wiederum wir, da wir zahlenmäßig nicht genug sind – die Jagd aufnehmen kann. Finden Sie diese Möglichkeit, trinken Sie aus dem Glas und geben Sie es dann weiter.«
    Clovis runzelte verwirrt die Stirn. »Aber wie? Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen …«
    »Nun machen Sie schon!«, bellte Traversham-Beechers. »Ich kann Ihnen doch nicht alles vorkauen. Das hier ist ein Spiel für Erwachsene – nicht für Kinder! Wenn Ihnen nichts einfällt, geben Sie das Glas eben weiter, ohne daraus getrunken zu haben.«
    Die anderen wollten nicht, dass er das tat. Sie hatten zwar keine Ahnung, wie das Spiel funktionierte oder was sie selbst sagen würden, aber die Vorstellung, das Glas einfach so weiterzureichen, ohne daraus getrunken zu haben, schien eine schreckliche Schmach zu sein.
    Nur Ernest wirkte vollkommen ungerührt. Mit sanftem Blick sah er von einem zum anderen, als betrachtete er dieses törichte Treiben mit Nachsicht, während er gleichzeitig an andere Dinge dachte. (Ähnlich wie er es auch auf dem Schulhof getan hatte, wann immer die anderen anfingen, ihn Karottenkopf zu rufen.)
    In der Stille, die unter den Geburtstagsgästen herrschte, war wieder der Gesang der Reisenden zu hören:
    But every time that I go out the people stare at me …
    Traversham-Beechers sah Clovis an. Der Portwein stand unberührt vor ihm, schimmernd und dunkel. »Clovis, trennen Sie das Reh von der Herde!«
    Clovis sah Ernest an und überlegte, wie er das bewerkstelligen sollte. »Er trägt eine Brille«, sagte er schließlich.
    Erleichterung. Es stimmte. Die Brille unterschied ihn unleugbar vom Rest der Gruppe.
    »Ich möchte lieber nicht …«, fing Patience an, aber Ernest unterbrach sie.
    »Schuldig«, sagte er und hob mit einem leisen Lächeln die Hand, während er für sich dachte: Aha. Es geht also wieder los.
    »Großartig. Trinken Sie, Clovis. Und geben Sie

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