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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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einfach nichts mehr.
    »Habt ihr alle den Verstand verloren?«, fragte Charlotte verwundert, während ihr Blick über das nicht zueinanderpassende Geschirr auf dem schmutzigen Tisch wanderte und über alle, die in den unterschiedlichsten Stadien der Auflösung um ihn herumsaßen.
    Emerald war nicht in der Stimmung, sich kritisieren zu lassen. »Wenn du hier gewesen wärst, Mutter, wüsstest du, was wir alle hinter uns haben«, wehrte sie sich. »Mrs Trieves war einfach wundervoll, und Patience – einfach alle. Ich schlage vor, du nimmst es einfach so hin, wie es ist. So wie wir anderen auch.«
    Alle Anwesenden starrten zu Boden, aber Charlotte lachte, als hätte ihre Tochter die bezauberndste Ansprache aller Zeiten gehalten. Um ein Haar hätte sie sogar in die Hände geklatscht.
    »Ihr Ärmsten!«, trillerte sie. »Und eure schreckliche Mutter versteckt sich in ihrem Zimmer. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie es gewesen sein muss. Was für ein absolut merkwürdiger Abend. Wo setze ich mich denn am besten hin?« Und wie ein aufgeregtes Kind suchte sie sich einen Platz und sah sich um. »Bei welchem Gang sind wir angelangt?«
    Florence, immer noch unsicher, konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Beim zweiten, Mrs Swift, oder beim dritten, wenn Sie die Suppe mitrechnen, die es nicht gab. Aber ich fürchte, viel hat es sowieso nicht gegeben. Die Passagiere haben zugeschlagen wie die Scheunendrescher.«
    »Das ist nicht zu übersehen. Wie es scheint, ist wirklich nicht mehr besonders viel übrig«, sagte Charlotte fröhlich. »Haben unsere Eisenbahngäste auch den ganzen Nachtisch weggeputzt?«
    Plötzlich redeten alle durcheinander, schilderten ihre gemeinsamen Anstrengungen und den unglaublichen Appetit der gestrandeten Hausgäste.
    »Sie haben den ganzen Schweinebraten aufgegessen …«
    »Und Unmengen des Kaninchenfrikassees!«
    »Einigen von ihnen mussten wir sogar das Zinngeschirr vorsetzen …«
    »Und das Besteck hat nicht für alle gereicht.«
    »Von den Servietten ganz zu schweigen.«
    »Servietten!«
    »Was für ein Spaß«, sagte Charlotte. »Und was ist mit Robert und Stanley? Sind sie noch nicht zurück? Und gibt es Neuankömmlinge?«
    »Keine Spur von den beiden, Ma. Und keine weiteren Gäste.«
    »Was kann bloß aus ihnen geworden sein?«
    Während alle redeten und rätselten, wo Robert und Stanley stecken mochten, und darüber spekulierten, ob das Unwetter bald nachlassen würde, blieb Traversham-Beechers als Einziger stumm. Er saß an seinem neuen Platz am Kopf des Tischs, Charlotte genau gegenüber, und sah sie an. Sie dagegen verhielt sich, als nähme sie ihn nicht einmal wahr. »Und nun, Mrs Trieves? Was kommt als Nächstes?«
    »Der Kuchen, Ma’am«, sagte Florence mit grimmig entschlossener Stimme. »Aber davon bekommen die anderen nichts ab.« Und sie erhob sich, um ihn zu holen.
    »Oh, der Kuchen!«, quietschte Patience, und alle fingen an, Teller von hier nach da zu räumen.
    »Jemand muss Smudge Bescheid geben«, sagte Emerald.
    »Ich kümmere mich darum.« Mit einem kurzen Nicken verließ Florence das Zimmer.
    Die Anwesenden hatten den Tisch teilweise abgeräumt. Myrtle war losgelaufen, um Teller für den Kuchen zu holen, und das Gaslicht war so weit heruntergedreht worden, dass nur noch ganz schwach flackernde Flammen den Raum in eine behagliche Höhle verwandelten. Die Kerzen in den Leuchtern brannten noch, wenn auch inzwischen schmelzend, rauchend, tropfend und spuckend, und in Erwartung von Florences Rückkehr dämpften die Gäste ihre Stimmen zu einem leisen Gemurmel.
    Charlottes Blick wanderte zu Traversham-Beechers. Dass er sie so gebannt beobachtete, erwies sich zu guter Letzt doch als unwiderstehlich.
    »Marguerite Gautier s’est levée de son lit«, sagte er leise, und obwohl er am anderen Ende des Tisches saß, hörte sie ihn ganz deutlich. Gleichzeitig hatte sie den eigenartigen Eindruck, dass keiner der anderen seine Bemerkung mitbekam.
    In der Vorratskammer hob Florence den grünen Kuchen vom obersten Regal. Die Platte auf ihrem hohen, schlanken, geriffelten Fuß schwankte gefährlich, als sie die Trittleiter hinunterstieg.
    Myrtle tauchte atemlos in der Tür auf.
    »Geh und hol Miss Imogen, Myrtle, falls sie noch wach ist, damit es hinterher kein Gezeter gibt.«
    Myrtle lief die Küchentreppe hinauf und kam sehr kurz darauf mit der schier unglaublichen Information zurück, Miss Imogen wolle ihren Kuchen »erst später« essen.
    »Sie hat ihre Tür schon wieder

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