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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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an Krankheiten und Verletzungen – welcher Mann würde sich schon mit gequältem Fleisch und kranken Organen umgeben wollen?
    »Er ist sonderbar – er ist einfach sonderbar!«, stieß sie heftig und mit brennenden Wangen hervor und empfand einen Stich grausamer Befriedigung.
    »Emerald!«, rief Patience vorwurfsvoll; sie fühlte sich von ihrer Freundin verraten.
    Ernest fuhr zusammen und sah sie endlich an. Er war er selbst, der Junge, den sie gekannt hatte, der Mann, den sie nun begehrte. Sie sah, dass sie ihn verletzt hatte. Und wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
    Die anderen lachten laut auf. Ihr Pfeil hatte gesessen. Alle sahen Ernest an, warteten gespannt auf seine Reaktion.
    »Nun, was sagen Sie dazu? Was sagen Sie dazu?«, rief Charlie. »Sonderbar!«
    Es kostete Ernest unsägliche Mühe, nach außen hin gleichmütig zu bleiben. Sonderbar . Empfand sie ihn wirklich als sonderbar? Er bekämpfte den Drang, den Blick zu senken, dachte zurück an kindliche Ängste, um sich zu rüsten und zu wappnen. Schließlich war er jetzt ein Mann!
    Als Kind hatte sie ihn akzeptiert, dachte er. Aber vielleicht hatte sie ihn auch damals schon für sonderbar gehalten, schon als sie gemeinsam auf Schmetterlingsjagd gingen, schon als sie kleine Frösche sezierten? Als die anderen sich endlich von ihm abwandten, schloss er einen Augenblick lang resigniert die Augen. Sonderbar .
    »Jetzt Sie, Patience«, sagte Charlie. »Geben Sie ihr das Glas.«
    Außer sich vor Empörung konnte Patience sich nicht länger beherrschen. Sie hatte gespürt, wie ihr besseres Ich in dieser gehässigen Atmosphäre in sich zusammenschrumpfte. Jetzt gewann es wieder an Kraft, verlangte, gehört zu werden. Sie hob die Hand und schlug so heftig gegen das Glas, dass es quer über den Tisch flog und der dicke, rubinrote Portwein nur so spritzte. Eine Pfütze bildete sich auf dem Tischtuch und sickerte langsam in den Stoff ein. Das Glas prallte mit einem lauten Scheppern gegen den schweren silbernen Kerzenleuchter. Dann war es still.
    »Warum haben Sie das gemacht?«, wollte Traversham-Beechers wissen.
    Er war ehrlich schockiert und zutiefst bestürzt, er war absolut fassungslos.
    Die anderen starrten Patience an.
    »Ihr seid allesamt Scheusale«, rief Patience. »Ihr seid absolut abscheulich! Mein Bruder ist ein besserer Mensch als ihr alle!«
    »Bravo«, sagte Clovis mit aufgesetzter Nonchalance, um Charlie Traversham-Beechers zu beeindrucken.
    »Jedenfalls ein besserer als du!« Aufgebracht deutete sie mit dem Finger auf ihn. Clovis zog die Augenbrauen hoch und lächelte (obwohl er innerlich zusammenzuckte).
    Ein weiteres kurzes Schweigen. Traversham-Beechers und Patience, zwei magnetische Pole, kämpften über den Tisch hinweg stumm darum, die anderen auf ihre Seite zu ziehen. Wie Treibgut im Wasser konnten sie entweder an den Strand gespült oder aber aufs Meer hinausgerissen werden – die Stimmung stand auf der Kippe, noch schwamm das Treibgut hoch oben auf der Welle.
    »Muss Ihre Schwester immer Ihre Kämpfe für Sie austragen?«, sagte Traversham-Beechers mit blasierter Stimme zu Ernest.
    »Ach, er war doch seit jeher ein Schwächling«, kam es von Charlotte, die sich wie immer auf die Seite des Stärkeren schlug.
    Damit wendete sich das Blatt. Nun bestand die Gefahr, dass alle mitgerissen wurden.
    Emerald war völlig durcheinander. Eine seltsame Begeisterung, Scham, Schock – sie alle kämpften in ihr miteinander. Zusammen mit Florence tupfte sie an dem Portweinfleck herum, mit dem Ergebnis, dass sämtliche verbliebenen sauberen Servietten ebenfalls voller Flecken waren, ohne dass das Tischtuch auch nur einen Deut besser aussah. Ernest, in erster Linie um seine Schwester besorgt, schien von ihnen allen am wenigsten aufgewühlt.
    »Patience?«, sagte er mit ruhiger Stimme. Und noch einmal: »Patience? Es hat nichts zu bedeuten. Es ist nur ein albernes Spiel.«
    Patience sah ihn mit großen Augen an, schockiert über sich selbst und über die anderen. Sie hätte gern Frieden mit Clovis geschlossen; sie gab ihm nicht wirklich die Schuld, aber sein Gesichtsausdruck war alles andere als angenehm. Ernest wandte sich an den ganzen Tisch.
    »Falls meine Gastgeberin nichts dagegen hat, würde ich mich gerne für ein Weilchen in die Bibliothek zurückziehen. Ich bitte, mich zu entschuldigen.«
    Charlotte starrte ihn an. Mit einer steifen Verbeugung verließ er den Tisch.
    Im gleichen Moment stand Charlie Traversham-Beechers, der von der

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