Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
zusammen leben. In einem halben Jahr. In einem Monat. Bald.
Insgeheim versuchte er sich Bilder davon zu machen. Starke Bilder, warm und farbenprächtig. Bilder aus einer Zukunft, in der er nie wieder in der Wolfsstunde aufwachen müsste.
In der er nie mehr durch die zerbrechliche Haut schauen müsste.
In der er nie mehr stinkenden kalten Schweiß von seinem Leib waschen müsste.
Vera, dachte er. Um deinetwillen könnte ich noch einen Mord begehen.
Am Samstag brachte das Neuwe Blatt seinen Steckbrief. Er las am Frühstückstisch über sich, und nach einer Sekunde des Entsetzens prustete er los. Das war keine Bedrohung. Im Gegenteil. Eigentlich hatte er darauf gewartet. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn ihn während dieser Minuten in der Bar niemand gesehen hätte, einfach zu schön — aber er erkannte bald, dass die Zeitungsmeldung, statt für ihn irgendeine Art von Gefahr zu bedeuten, eher eine beruhigende Nachricht darstellte. Die
Nachricht, dass die Polizei bei den Ermittlungsarbeiten feststeckte und er keinen Grund hatte, von ihrer Seite irgendetwas zu befürchten. Nicht den geringsten.
Denn wieso hätten sie sonst einen dermaßen albernen Steckbrief veröffentlichen sollen?
Ein Mann unbestimmten Alters. Dunkel, vermutlich schwarz gekleidet. Lange dunkle, vermutlich schwarze Haare. Bart und Brille. Möglicherweise verkleidet.
Möglicherweise! Er lachte. Erwarteten die denn, dass er alles wieder anzog und unter die Leute ging? Dass er zum Tatort zurückkehrte und sich vielleicht noch einmal in die Trattoria Commedia setzte? Oder was? Er hatte die Kompetenz der Polizei nie besonders hoch geschätzt, und an diesem Samstagmorgen wurde seine Achtung nicht größer.
Polizei?, dachte er. Armselige Vettern aus Dingsda.
Am Nachmittag kam Vera. Sie hatte in der Markthalle am Keymer Plejn Wein und Lebensmittel gekauft, aber sie hatten einander sechs Tage nicht gesehen und mussten sich schon in der Diele lieben. Dass es so viel Leidenschaft geben konnte! Dass es eine solche Frau geben konnte!
Langsam machten sie sich dann aber doch über Lebensmittel und Wein her. Vera blieb über Nacht, sie liebten sich noch einige Male, hier und dort, und statt zur Wolfsstunde zu erwachen, schlief er mitten in dieser Stunde ein.
Schwer und befriedigt, erfüllt von Liebe und Wein, und mit Vera Miller in unerhört dichter Nähe.
Sie blieb bis zum Sonntagnachmittag. Während einer ernsten Stunde sprachen sie über ihre Liebe; darüber, wie sie damit und mit ihrer Zukunft umgehen sollten.
Es war das erste Mal.
»Niemand weiß von deiner Existenz«, sagte sie. »Andreas nicht. Meine Schwester nicht. Und meine Kolleginnen und Freundinnen auch nicht. Du bist mein Geheimnis, aber ich will dieses Geheimnis nicht mehr haben.«
Er lächelte, sagte aber nichts dazu.
»Ich will dich lieber die ganze Zeit haben.«
»Dein Mann?«, fragte er. »Was hast du mit ihm vor?«
Sie schaute ihn lange an. Dann sagte sie:
»Ich werde mit ihm sprechen. Jetzt, in dieser Woche. Ich habe mir alles überlegt, es gibt keine andere Lösung. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich«, erwiderte er.
Am Montag machte er Überstunden. Auf der Nachhausefahrt — als er gerade die Zementröhre im Straßengraben passiert hatte —, ertappte er sich dabei, wie er zur Begleitung des Autoradios sang, und ihm ging auf, dass seit jenem Abend noch kein Monat vergangen war. Es war noch immer November, und alles hatte sich in einem Ausmaß verändert, das er niemals für möglich gehalten hätte.
Es war unwahrscheinlich. Ganz und gar unwahrscheinlich. Aber so war das Leben.
Er lächelte und summte noch immer, als er die Post des Tages aus dem Briefkasten fischte, aber seine gute Laune verflog schlagartig, als er bald darauf am Küchentisch saß und den Brief las. Soweit er es beurteilen konnte, war er auf genau dem gleichen Briefpapier geschrieben und in genau den gleichen Umschlag gesteckt worden wie die beiden früheren. Er war handgeschrieben und nur eine halbe Seite lang.
Zwei Leben,
jetzt haben Sie zwei Leben auf dem Gewissen. Ich habe Ihnen Zeit genug gelassen, um sich zu stellen, aber Sie haben sich verkrochen wie ein feiger Straßenköter. Der Preis für mein Schweigen hat sich jetzt geändert. Eine Woche (genau sieben Tage) stehen zu Ihrer Verfügung, um zweihunderttausend Gulden zu beschaffen. In benutzten Scheinen. Kleine Beträge.
Ich werde Ihnen Instruktionen zukommen lassen. Machen Sie nicht noch einmal denselben Fehler Sie werden
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