Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
keine weiltere
Möglichkeit erhalten, sich freizukaufen. Ich weiß, wer Sie sind, ich verfüge über unwiderlegbare Beweise gegen Sie, und selbst meine Geduld hat ihre Grenzen.
     
    Ein Freund
     
     
    Er las diese Mitteilung zweimal. Danach starrte er aus dem Fenster. Es regnete, und plötzlich nahm er den Geruch von kaltem Schweiß wahr.

III

13
    Erich Van Veeteren wurde am Montag, den 30. November, in einer schlichten Zeremonie bestattet. Die Feier fand im Seitenschiff der Keymerkirche statt, und aufgrund der Wünsche des engsten Familienkreises — vor allem der Mutter — hatte sich nur eine kleine Trauergemeinde versammelt.
    Renate hatte auch Pastor und Choräle ausgesucht; aufgrund irgendwelcher unklarer Richtlinien, die nach ihrer Behauptung für Erich wichtig gewesen waren, von denen Van Veeteren jedoch durchaus nicht überzeugt war. Ansonsten war es ihm egal; wenn Erich ein Bedürfnis nach Spiritualität gehabt haben sollte, dann konnte das in diesem hochkirchlichen Gewölbe und unter diesen bedrohlich zum Himmel strebenden Türmen wohl kaum befriedigt werden, davon war er überzeugt.
    Der Pastor sah ziemlich jung und ziemlich lebendig aus, und während er mit der breiten Aussprache der Inselbewohner predigte und die Gebete vortrug, behielt Van Veeteren zumeist die Augen geschlossen, während seine gefalteten Hände auf seinem Schoß lagen. Zu seiner Rechten saß seine geschiedene Ehefrau, deren Anwesenheit er selbst in dieser Situation nur schwer ertragen konnte; zu seiner Linken saß seine Tochter, die er über alles auf der Welt liebte.
    Vor ihm stand der Sarg mit den sterblichen Überresten seines Sohnes.
    Es fiel ihm schwer, ihn anzusehen, vielleicht kniff er deshalb die Augen zusammen.

    Kniff die Augen zusammen und dachte stattdessen an den lebenden Erich. Ließ seinen Gedanken freien Lauf; die Erinnerungen stellten sich nach einem offenbar ganz und gar willkürlichen System ein. Es gab Bilder und Erinnerungen aus den frühesten Kindheitsjahren, mit Märchenlesen an einem windigen Sandstrand, unklar, an welchem; Zahnarztbesuche, Ausflüge zur Schlittschuhbahn und zu Wegelens Tierpark.
    Und es gab welche aus der schwierigen Zeit später. Aus den Jahren des Drogenkonsums und der Gefängnishaft. Er sah den Selbstmordversuch und die langen durchwachten Nächte im Krankenhaus.
    Und ihre letzte Begegnung. Vielleicht vor allem die. Wenn diese Bilder aus der letzten Zeit sich vor ihm abspulten, quälte ihn auch das Bewusstsein seiner eigenen egoistischen Motive — seines Bedürfnisses, aus diesem Treffen Licht zu saugen —, aber wenn es so war, dass jeder neue Tag die Summen der vorhergehenden in sich trug, dann könnte ihm das vielleicht vergeben werden.
    Zumindest heute. Zumindest hier, vor dem Sarg. Beim letzten Mal hatte er Erich am Küchentisch in Klagenburg eine halbe Stunde lang gegenübergesessen. Erich hatte die ausgeliehene Bohrmaschine zurückbringen wollen, und sie hatten sich zusammengesetzt und Kaffee getrunken und über alles Mögliche geredet. Er wusste nicht mehr genau, worüber eigentlich, aber es war von keinerlei Missbrauch die Rede gewesen, nicht von Fähigkeit oder Unfähigkeit, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, nicht vom Widerspruch zwischen gesellschaftlicher und privater Moral. Von keinem dieser schweren, dieser bis ins Unendliche durchgekauten und verbrauchten Themen.
    Es war nur Plauderei gewesen, dachte er. Keine Schuldfragen. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen, zwischen zwei x-beliebigen Menschen, und genau das — diese schlichte, wertfreie Tatsache — war das Licht.
    In der Finsternis. Eine jämmerliche Flamme in einer unermesslichen
Finsternis; er dachte an Gortjakows Wasserwanderung aus Nostalghia . Daran dachte er oft. Tarkowskis Nostalghia . . . und als er nun in dieser viele Jahrhunderte alten Kathedrale saß und vor dem Sarg seines Sohnes die Augen zusammenkniff, während die langsame Litanei zum gotischen Gewölbe aufstieg, glaubte er ... glaubte er eine Art Zusammengehörigkeit zu empfinden. Große Worte vielleicht, und eine Zusammengehörigkeit mit vielen Größen, das schon. Mit Erich, mit seinem eigenen unbegreiflichen Vater, der von ihm gegangen war, lange, ehe er auch nur die geringste Möglichkeit gehabt hatte, ihn zu verstehen und sich mit ihm zu versöhnen, mit Leid und Kunst und Kreativität — mit allen Arten von Kreativität — und ganz langsam auch mit dem Glauben an etwas Jenseitiges und an Visionen und Ambitionen der

Weitere Kostenlose Bücher