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Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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wenn er sie ganz besonders vermisste, dann passierte es ab und zu. Dass er in kalten Schweiß gebadet erwachte. In der Wolfsstunde.
    Und in dieser wachen Stunde zwischen drei und vier Uhr nachts, in diesen unbarmherzigen, ewig langen Minuten, während die ganze Welt schlief, sah er klar, durch die Haut hindurch. Sah er das Entsetzliche, dessen er sich schuldig gemacht hatte, im kalten rückblickenden Licht. Sah er ein, dass diese durch und durch zarte Membran jeden Moment reißen konnte. Jeden Moment. Ob es auch Träume gab, wusste er nicht. Auf jeden Fall konnte er sich an kein Traumbild erinnern. Er versuchte es natürlich auch nicht, nicht in dieser und auch in keiner anderen Nacht. Stand stattdessen im Dunkeln auf, stapfte zum Schreibtisch hinüber und knipste die Lampe an. Ließ sich in den Sessel fallen und zählte im Terminkalender die Tage, stellte fest, dass fünfundzwanzig davon vergangen waren, seit er den Jungen angefahren hatte. Zehn, seit dem Mord am Erpresser. Bald würde ein neuer Monat beginnen. Bald würde alles vergessen sein.
    Vergessen und aus der Welt. Die Zeitungen schrieben nicht mehr darüber. Am Anfang der Woche war das anders gewesen. Die Polizei hatte den jungen Mann am Samstag gefunden, aber inzwischen hatten die Medien ihr Interesse schon wieder verloren. Am Donnerstag oder Freitag war er nicht mehr erwähnt worden.
    So war es eben. Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird eine Eintagsfliege sein, dachte er. Einen Strich ziehen, die Summe berechnen, falls es eine gibt. Vergessen, weitergehen. Das Motto der Zeit. Eigentlich war er selber auch so, wie er jetzt
einsah. Ein guter Vertreter der Zukunft also; es waren nur diese schlaflosen Stunden, die ihn an Gestern und Morgen fesselten. Nur die.
    Und doch war nichts wie zuvor. Es war paradox, dass dieser Abend mit dem leichten Aufprall und dem Jungen im lehmigen Straßengraben alles hatte verändern, die Perspektive dermaßen hatte verschieben können. Türen öffnen. Vertäuungen kappen. Vera Miller einlassen, sein neues Leben zulassen. Ja, paradox war das richtige Wort und Chaos Gottes nächster Nachbar.
    Der Mord draußen in Dikken war nicht vom selben Gewicht. Durchaus nicht, er war nur die Folge. Etwas, das er hatte durchführen müssen, eine unbarmherzige Konsequenz der Tatsache, dass er am ersten Abend beobachtet worden war. Billardbälle, die losrollen und einfach nur einer unbarmherzig vorgegebenen Richtung folgen; er hatte vor nicht allzu langer Zeit in Fachzeitschriften darüber gelesen. Eine Art neo-mechanistisches Weltbild, wenn er es richtig verstanden hatte ... oder Psychologie; zugleich natürlich eine Verpflichtung seinem eigenen Leben gegenüber; schon nach wenigen Tagen hatte die Dikkener Episode ihn nicht mehr berührt. Der Mann, den er dort draußen umgebracht hatte, hatte sich am Unglück anderer mästen wollen, an seinem und an dem des Jungen ... man könnte sogar behaupten, er habe den Tod verdient. Haust du meinen, hau ich deinen, wie der alte Spruch lautete. Ein schnöder Erpresser, der im Laufe einer Woche zu einer entsetzlichen Bedrohung geworden war, dem er dann aber auf seinem eigenen Spielfeld gegenübergetreten war und den er liquidiert hatte. Einfach und schmerzlos. Und jetzt war die Zukunft wieder offen.
    Die Zukunft mit Vera Miller. Er bezweifelte keine Sekunde mehr, dass es diese Zukunft geben würde. Keinen Bruchteil einer Sekunde bezweifelte er das, nicht einmal während dieser durchwachten Wolfsstunden. Sie hatte ihrem Mann zwar noch nicht erzählt, dass sie einen anderen hatte und sich scheiden
lassen wollte, aber das war nur eine Frage der Zeit. Eine Frage einiger Wochen und einer gewissen Rücksichtnahme. Andreas Wollgers war kein starker Mensch, sie wollte ihn nicht zerbrechen. Noch nicht. Aber bald würde es so weit sein.
    Während dieser Wartezeit machten sie keine weiteren Pläne. Aber trotzdem waren diese vorhanden; sie hingen die ganze Zeit in der Luft, wenn er mit Vera zusammen war. Wenn sie sich liebten, wenn er in ihr war, wenn er ihre Brustwarzen hart und steif und wund leckte. Wenn sie einander beim Essen gegenüber saßen und Wein tranken oder einfach in seinem großen Bett lagen und atmeten und im Dunkeln Musik hörten. Die ganze Zeit. Pläne — bis jetzt noch unausgesprochene Hoffnungen für die Zukunft und für ein neues Leben. An irgendeinem anderen Ort. Er und Vera Miller. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Sie waren zwei erwachsene Menschen, und nichts könnte einfacher sein. Sie würden

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