Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
Kirchenerbauer ... mit Leben und Tod und der unaufhaltsam dahinströmenden Zeit. Mit seiner Tochter Jess, die sich schwer an ihn anlehnte und ab und zu von einem Zittern durchfahren zu werden schien. Zusammengehörigkeit.
Es tut seine Wirkung, dachte er. Das Ritual tut seine Wirkung. Die Formen besiegen den Zweifel; wir haben durch die Jahrhunderte hindurch gelernt, um Leere und Schmerz einen Sinn zu weben. Bedeutung und Muster. Aber wir üben ja auch schon lange.
Der Zauber wurde erst gebrochen, als er mit Jess an seinem Arm am Sarg vorbeidefiliert war; erst, als er allem den Rücken gekehrt hatte und dabei war, das Schiff zu verlassen. Dabei traf ihn ein eiskalter Stoß von Verzweiflung. Er spürte, wie er fast ins Schwanken geriet und sich an seiner Tochter anklammern und auf sie stützen musste. Er auf sie, sie auf ihn. Er war unendlich weit weg von Renate, die an Jess’ anderer Seite stand, und er fragte sich, warum er eine solche Distanz bewahren musste. Warum?
Und als er dann vor dem schweren Kirchenportal im strömenden Regen stand, dachte er nur: Wer hat ihn getötet? Ich will den Menschen kennen lernen, der meinen Sohn getötet hat.
Der die Flamme ausgeblasen hat.
»Ich habe noch nicht sortiert«, sagte Marlene Frey. »Was seine Sachen waren und meine, meine ich. Ich weiß nicht, wie man vorgeht ... ob ihr etwas haben möchtet.«
Van Veeteren schüttelte den Kopf.
»Natürlich nicht. Ihr habt doch zusammengelebt. Alles, was Erich gehört hat, gehört jetzt natürlich dir.«
Sie saßen bei Adenaar’s an einem Tisch. Marlene Frey trank Tee, er selber ein Glas Wein. Sie rauchte nicht einmal. Er wusste nicht, warum ihn das überraschte, aber es überraschte ihn. Erich hatte mit fünfzehn angefangen zu rauchen ... oder vermutlich noch früher, aber an seinem fünfzehnten Geburtstag hatte sein Vater ihn dabei erwischt.
»Aber sieh es dir trotzdem noch mal an«, sagte sie. »Vielleicht möchtet ihr irgendetwas zur Erinnerung haben.«
»Fotos?«, sagte er daraufhin. »Hast du vielleicht irgendwelche Fotos? Ich glaube, ich habe keins von Erich, das jünger als zehn Jahre ist.«
Sie lächelte kurz.
»Sicher. Es gibt eine ganze Menge. Oder zumindest einige.«
Er nickte und musterte sie schuldbewusst.
»Bitte, verzeih mir, dass ich nicht früher gekommen bin. Ich habe ... es war einfach so viel.«
»Es ist nie zu spät«, sagte sie. »Komm vorbei, wenn du Zeit hast, dann bekommst du ein paar Bilder. Ich bin abends zu Hause. Meistens jedenfalls, aber vielleicht rufst du vorher besser an. Das braucht doch nicht so feierlich zu sein.«
»Nein«, sagte er. »Da hast du wohl Recht.«
Sie trank ihren Tee, und er nippte in einer Art halbherzigen Geste des Einverständnisses an seinem Wein. Betrachtete sie dabei verstohlen und fand, dass sie gut aussah. Blass und müde natürlich, aber mit klaren Zügen und einem Blick, der seinen erwiderte, ohne auch nur einen Zentimeter auszuweichen. Er fragte sich, was sie in ihrem Leben wohl alles mitgemacht haben mochte. Dasselbe wie Erich vielleicht? Ihm kam es nicht so vor; bei Frauen hinterließ das immer tiefere Spuren. Natürlich
hatte sie allerlei hinter sich, das sah er, aber nichts an ihrer Erscheinung wies auf fehlende Stärke hin.
Auf die Stärke, ihr eigenes Leben zu meistern. Doch er spürte, dass sie diese Stärke besaß.
Eine Schande, dachte er. Eine Schande, dass ich sie erst jetzt kennen lerne. Und unter solchen Umständen. Ich hätte natürlich. . .
Aber dann brach die Gewissheit Erich ist tot wieder über ihn herein, und das mit solcher Kraft, das ihm fast schwarz vor Augen wurde. Er kippte seinen Wein und zog sein Zigarettenmaschinchen hervor.
»Darf ich rauchen?«
Wieder lächelte sie für einen Moment.
»Erich hat geraucht.«
Sie schwiegen, während er sich eine Zigarette drehte und sie anzündete.
»Sollte aufhören«, sagte er. »Mit so einem Apparat rauche ich jedenfalls nicht weniger.«
Warum zum Teufel fasele ich hier übers Rauchen, fragte er sich. Welche Rolle spielt es, ob der Vater eines Toten zu viel raucht?
Plötzlich legte sie ihm die Hand auf den Arm. Er spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte, und fast wäre ihm der Rauch im Hals stecken geblieben. Sie hatte seine Reaktion vermutlich gesehen, gab sich aber keine Mühe, es zu verbergen. Es zu überspielen. Sie ließ einfach ihre Hand auf seinem Unterarm liegen und betrachtete ihn mit forschenden, leicht funkelnden Augen.
»Ich könnte dich sicher gern haben«,
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