Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
seltsam? Ich meine, Erich ist doch auf jeden Fall tot ...«
Sie wandte den Kopf und sah ihn an.
»Nein«, sagte er. »Das ist überhaupt nicht seltsam. Ich glaube, es ist eine der normalsten Reaktionen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Es gibt einen Grund, weswegen ich bei der Polizei aufgehört habe, aber es gab auch einen, weswegen ich dort eingestiegen bin.«
Sie musterte ihn von der Seite und nickte langsam.
»Ich glaube, das verstehe ich. Und jetzt denkst du auch so?«
»Jetzt denke ich auch so.«
Sie wartete eine Weile, bis sie auf den nächsten Punkt zu sprechen kam.
»Und wie läuft die Sache? Bei der Polizei, meine ich. Weißt du etwas ... halten die Kontakt zu dir?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Nicht sehr viel. Ich habe darum gebeten, aber ich will mich nicht allzu sehr einmischen. Wenn sie weitergekommen sind, werden sie mich natürlich informieren. Vielleicht melde ich mich mal bei Reinhart und erkundige mich.«
Dann waren sie angekommen. Er fuhr ins Parkhaus, brachte
die schmale Rampe hinter sich und hielt vor einer grauen Betonmauer.
»Tu das«, sagte sie. »Erkundige dich. Ich will wissen, wer meinen Bruder umgebracht hat.«
Er nickte, und sie stiegen aus. Zwanzig Minuten später sah er sie zwischen zwei uniformierten Flughafenangestellten verschwinden und von der Sicherheitskontrolle verschluckt werden. Doch, dachte er. Wenn alles vorüber ist, dann bleibt diese Frage.
Wer?
14
Anfangs war es unbegreiflich.
Sein erster Gedanke — der erste Versuch einer Erklärung — war, dass er überlebt hatte. Dass der Mann vom Parkplatz auf irgendeine unvorstellbare Weise nach den Schlägen zum Leben erwacht war. Dass er sich aus dem Gebüsch gerettet hatte und zum Restaurant und damit in Sicherheit gekrochen war. Überlebt hatte.
Mit eingeschlagenem Schädel und gebrochenen Halswirbeln?
Danach erinnerte er sich an die Fakten. Dass es in allen Zeitungen gestanden hatte. Dass Radio und Fernsehen über den Fall berichtet hatten, es konnte natürlich keinen Zweifel geben. Dieser schlaksige junge Mann, den er beim Golfplatz erschlagen hatte, war tot. Endgültig und unwiderruflich tot.
Ergo?, fragte er sich. Ergo habe ich den Falschen umgebracht. So muss es sein. Oder gibt es noch eine andere Erklärung?
Er konnte keine finden. Die Sache musste also die sein, dass er ... dass er noch einmal aus Versehen einen Menschen umgebracht hatte.
Und das war nicht weniger unbegreiflich.
Es wäre zu viel verlangt gewesen, viel zu viel, dass er an diesem Montagabend hätte einschlafen können; und nach zwei fruchtlosen Stunden stand er auf. Es war zwei Uhr, er trank in der Küche eine Tasse Tee mit einem Schuss Rum, danach setzte er sich ins Auto und fuhr ans Meer. Saß anderthalb Stunden einsam auf einem Parkplatz zwischen Behrensee und Lejnice und versuchte mit sich selber zu diskutieren, während er durch das heruntergekurbelte Seitenfenster dem mächtigen Rauschen des Meeres lauschte. Es wehte ein kräftiger Südwestwind, und die Brecher waren meterhoch, das hörte er.
Den Falschen? Er hatte den Falschen getötet. Nicht der Erpresser war an jenem Abend mit lässig baumelnder Plastiktüte aus der Trattoria Commedia gekommen. Sondern ein anderer.
Einer, der auf die Toilette gegangen war und im Papierkorb die Tüte gefunden hatte? Konnte es so einfach sein?
Ein Zufall? Dass jemand aus purem Glück — oder Unglück, wenn man den Ausgang der Angelegenheit bedachte — dem Erpresser zuvorgekommen war? Konnte das sein?
Diese Möglichkeit schloss er sofort aus. Es war zu unwahrscheinlich. Zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Die Sache lag anders, ganz anders. Er brauchte nicht lange, um die Lösung zu finden.
Es gab einen Helfer. Hatte ihn gegeben. Und zwar den Mann, den er getötet hatte. Der anonyme Briefeschreiber hatte einen Boten geschickt, um sein schwarzes Geld einzukassieren, statt das selber zu tun. Um kein unnötiges Risiko einzugehen; das war sehr gut überlegt, zweifellos, und im Grunde wirklich nicht verwunderlich. Er hätte daran denken, hätte es mit in Betracht ziehen sollen.
Im Grunde war es ein unverzeihlicher Patzer gewesen; je mehr er sich das überlegte, umso klarer wurde es ihm. Ein entsetzlicher Fehler! Während er sich draußen in Dikken über das dilettantische Vorgehen seines Gegners lustig gemacht hatte, hatte er es im Gegenteil mit einer Person von außerordentlich weit blickendem Wesen zu tun gehabt. Mit einer Person, die
mit wesentlich größerer Präzision
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