Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
sichtbar werden. Und doch hatte ihr Zusammensein etwas Gespanntes, das es bisher nicht gegeben hatte, und erst, nachdem sie fast drei Flaschen Wein getrunken hatten, begannen sie sich zu lieben.
Es war so schön wie immer. Vielleicht noch schöner, für einen kurzen Moment redete er sich ein, das komme von der bitteren Prise Untergangsstimmung, doch dieser Gedanke war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Er konnte ihr vier oder fünf Orgasmen verschaffen und danach legte sie ihren Kopf auf seine Brust und weinte. Sein eigener Kopf war so leer wie nach einem Atomkrieg.
Dann teilten sie nach und nach noch eine Flasche Wein; er hatte das Gefühl, dass das Blut in seinen Adern endlich wieder floss. Bald darauf liebte er sie noch einmal — etwas brutaler, als ihr das sonst lieb war und auf dem Küchentisch —, und danach tranken sie zum Abschluss noch jeweils ein Glas Glenlivit.
Für den Rest seines Lebens sollte er dieses Glas Whisky bereuen, denn es brachte ihn dazu, sein Urteilsvermögen aufzugeben und sich ins Verderben zu stürzen. Nach einer anderen Erklärung suchte er später nie.
Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Als er im Badezimmer stand und sich wusch, merkte er, dass er reichlich betrunken war — betrunkener als an jenem Abend, zum Beispiel —, dass aber trotzdem noch etwas getan werden musste. Er brauchte es; diese von Zweifeln geplagten Überlegungen, die ihn anfangs der Woche gequält hatten, waren wie
weggeblasen, und als er sein Gesicht im Spiegel musterte, sah er darin nur Stärke.
Stärke und Tatkraft.
Er grinste seinem Bild zu und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Setzte sich auf die Bettkante und ließ für eine Weile Daumen und Zeigefinger mit ihrer einen Brustwarze spielen.
Jetzt sage ich es ihr, dachte er.
Er wusste, sowie er ihren Blick sah, dass es ein entsetzlicher Fehler gewesen war.
Vera Miller wusste, sowie sie sah, wie er aufstand, um etwas aus der Diele zu holen, dass dieser Blick ein entsetzlicher Fehler gewesen war.
IV
18
Jochen Vlaarmeier fuhr seit über elf Jahren den Bus auf der Strecke Maardam — Kaustin.
Sechs Fahrten in jede Richtung. Jeden Tag. Abgesehen von den freien Tagen, die nach einem Gleitplan festgelegt wurden — und ab und zu einer Urlaubswoche natürlich.
Die erste und die letzte Fahrt waren in gewisser Hinsicht sinnlos. Aber nur in gewisser Hinsicht. Es gab keinen einsichtigen Grund, sich morgens um halb sieben nach Kaustin zu begeben, und keinen einsichtigen Grund, die Stadt zwölf Stunden später zu verlassen. Doch das Nachtquartier des Busses war die Garage in der Leimaarer Allee, und Vlaarmeier hatte durchaus nichts gegen eine gelegentliche Leerfahrt. Rein gar nichts. Im Laufe der Jahre erschienen die Fahrgäste ihm immer mehr als störende Elemente bei seiner Arbeit, und vor allem die Abendfahrt in der Stadt zählte er zu den guten Momenten in seinem Leben. Kein Straßenverkehr. Leerer Bus und dazu das Tagewerk vollbracht. Was hätte er im Grunde noch mehr verlangen können?
Sonntags gab es nur vier Fahrten. Zwei in jede Richtung. Er fuhr morgens um neun los — und das garantiert fahrgastlos — und kehrte um zehn Uhr zurück, mit einer Ladung aus vier Bäuerinnen, die in der Keymerkirche die Hochmesse besuchen wollten. Da ihnen ihre eigene Kirche aus irgendeinem Grund nicht gut genug war. Oder vielleicht war sie ja geschlossen worden. Vlaarmeier hatte nichts für das Sakrale übrig, seit er vor
dreißig Jahren ein Mädchen an einen Theologiestudenten mit Flaumbart verloren hatte.
Um zwei Uhr fuhr er die Bauersfrauen wieder nach Hause. Inzwischen hatten sie sich im Heimers Café am Rozenplejn an Kaffee und Kuchen gütlich getan.
Immer dieselben vier. Zwei kleine rundliche, zwei gebeugte, magere. Er hatte sich oft gefragt, warum die Gemeinde ihnen kein Taxi spendierte. Das wäre um einiges billiger gewesen.
An diesem kalten Sonntag — dem 29. November — waren sie nur zu dritt, da Frau Willmot, eine der rundlichen, mit einer Grippe im Bett lag. Das teilte die windgebeutelte Frau Glock mit energischer Stimme mit, als sie vor dem Schulhaus in den Bus stieg.
Achtunddreißig zwei und geschwollene Mandeln, erfuhr er. Laufende Nase und Gliederschmerzen. Nur, damit er’s wusste.
Es war auch Frau Glock, die so laut aufschrie, dass er fast in den Straßengraben gefahren wäre. Es passierte unmittelbar vor der langen Kurve bei dem Ort Korrim und hörte sich in etwa so an, als habe eine Heringsmöwe sich in
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