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Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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erklärte sie. »Den gibt es nicht. Ich werde mich wohl mit dir abschleppen müssen, so wie du bist. Mal Patient, mal Sparringpartner. . . aber das macht nichts. Ich habe nie etwas anderes erwartet. Und jetzt gehen wir zu Marlene und sehen uns ihre Fotos an.«

     
    Es war endlich das erste Mal, und es wurde ein kurzer Besuch. Marlene Frey hatte irgendwelche Probleme mit ihrem Ofen, die Temperatur in der Wohnung pendelte zwischen zehn und zwölf Grad, und sie wollte gerade zum Schlafen zu einer Freundin gehen.
    Sie hatte ein Dutzend Fotos von Erich herausgesucht — zwei davon zeigten übrigens Erich und sie selber. Es gebe auch noch andere, erklärte sie, aber nicht viele. Sie wollte natürlich auch selber welche behalten, vielleicht könnten sie sich ein andermal treffen und die Bilder verteilen? Wenn es nicht so schrecklich kalt war? Und sie konnten ja Abzüge machen lassen, wenn die Negative noch vorhanden waren, und das waren sie. Die meisten zumindest.
    »Wie geht es ...«, fragte er und schaute ganz schnell auf ihren Bauch.
    »Gut«, versprach sie. »Der klammert sich richtig fest.«
    Er konnte ihr ansehen, dass sie gestresst war, und das schien nicht zu ihr zu passen. Sie war ganz anders als an dem Abend bei Adenaar’s. Mit Ulrike wechselte sie nur einen Handschlag und ein hastiges Lächeln, und der kurze Besuch hinterließ einen etwas faden Nachgeschmack.
    »Du darfst das nicht überinterpretieren«, sagte Ulrike, als sie eine halbe Stunde später bei Kraus einen Tisch gefunden hatten. »Das macht man leicht, wenn man selber etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.«
    »Aus dem Gleichgewicht?«, fragte Van Veeteren. »Ich war seit meinem ersten Schultag nicht mehr im Gleichgewicht.«
     
    Während er auf Reinhart wartete, drehte er sich vier Zigaretten und rauchte zwei. Er ging sonst nie ins Vox, Reinhart hatte den Vorschlag gemacht, und er befürchtete, dass sie Jazzmusik spielen würden, wenn sie zu lange blieben. Auf einem Plakat am Eingang hatte so etwas gestanden, und ganz hinten in dem schmutzig braunen verräucherten Lokal befand sich eine kleine Bühne.

    Nicht, dass er grundsätzlich etwas gegen Jazzmusik gehabt hätte. Reinhart behauptete immer, dass das Hören — und natürlich noch viel mehr die Ausübung — von modernem, improvisiertem Jazz die Intelligenz im Rekordtempo wachsen ließ. Wie bei einer Exponentialfunktion von Zeit, Konzentration und Alkohol. . . oder etwas in dieser Richtung, er machte sich nicht immer die Mühe, Reinhart genau zuzuhören. Aber nicht heute Abend, bitte, dachte er. Es ist zu früh. Er hatte seit Erichs Tod kaum mehr Lust gehabt, seine eigene Musik zu hören, nicht einmal William Byrd oder Monteverdi konnte er hinnehmen, und deshalb wirkten Saxofone mit Stacheldrahtklang nun wirklich nicht verlockend auf ihn.
    Er trank einen Schluck Dunkelbier und dachte nach. Fragte sich, was eigentlich derzeit mit seinen Gedanken und seinem Bewusstsein geschah. Zerbrach sich den Kopf über deren Schwingungen. Das war nicht komisch. Dieses Herumgeschleudertwerden zwischen den Zuständen. Zwischen dem Inneren: seinem klaren — nicht sonderlich optimistischen, aber doch hartnäckigen — Glauben an eine Gesetzmäßigkeit irgendwo in der Dunkelheit. An Muster. An die positive Resignation, um zu einem Ausdruck des alten Borkmann zu greifen. Andererseits dieses Neue: diese ganz und gar schwarze Resignation. Mit der er natürlich schon früher in Berührung gekommen war — vor allem im Berufsleben —, aber die ihn bisher niemals fest hatte packen können.
    Nicht auf diese Weise. Stundenlang. Manchmal halbe Tage.
    Handlungsunfähig. Denkunfähig.
    Lebensunfähig?
    Muss dem ein Ende machen, dachte er. Muss eine Richtung finden. Erich ist tot und ich lebe weiter. Jedes Leben nimmt einmal ein Ende, manches zu früh, manches zu spät. Nichts kann das ändern ... und ich will Ulrike nicht auch noch verlieren.
    Reinhart tauchte um halb zehn auf, eine halbe Stunde zu spät.
    »Verzeihung«, sagte er. »Joanna hat eine Ohrenentzündung.
Schrecklich unangenehm offenbar. Hatten die das zu deiner Zeit auch?«
    Van Veeteren nickte. Reinhart betrachtete sein halb leeres Bierglas und bestellte zwei neue.
    »Wie läuft’s?«, fragte Van Veeteren, als das Bier gekommen war und beide einen Schluck getrunken hatten. Reinhart steckte sich eine Pfeife an und kratzte sich zwischen seinen kurzen, grau gesprenkelten Haaren.
    »Na ja.«
    »Na ja?«, fragte Van Veeteren. »Was zum Teufel heißt das?

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