Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
sinnlos, und es tat gut, sie nicht mehr stellen zu müssen. Er hatte sich oft gefragt, wozu es eigentlich gut sein sollte, den Alten am Leben zu erhalten, aber von Krankenhausseite war das Thema Euthanasie nicht einmal erwähnt worden, und er wollte es nicht anschneiden. Seine Schwester in Amerika wäre außerdem dagegen, das wusste er, auch ohne sie gefragt zu haben.
Also saß sein Vater dort im Bett. Sprach mit niemandem, las nie ein Buch oder eine Zeitung. Sah niemals fern, hörte niemals Radio. Verließ sein Bett nur noch, um zur Toilette zu gehen; das einzige Zeichen dafür, dass er bei irgendeinem Bewusstsein war, war, dass er den Mund öffnete, wenn ein gefüllter Löffel sich näherte.
Mein Vater, dachte er. So, wie du bist, werde ich eines Tages sein. Danke für den Besuch.
Und er beschloss zu leben, solange noch Zeit war.
Die Nacht zum Samstag wurde schwer. Weil Vera am nächsten Tag kommen würde, rührte er den Whisky nicht an. Das Trinken durfte nicht zur Gewohnheit werden. Er wollte auch nicht zu häufig zum Sobran greifen. Er nahm eine leichte Schlaftablette, aber davon wurde ihm schwer im Körper, und er empfand eine leichte Übelkeit.
Der Beschluss, auf den montäglichen Brief zu warten, ehe er seine Vorgehensweise endgültig festlegte, war natürlich richtig; der einzige mögliche Entschluss war es, aber das bedeutete ja nicht, dass ihm auch die Gedanken erspart blieben.
Diese sturen schwarzen Gedanken und Bilder dessen, was mit ihm passieren würde. Die Spekulationen darüber, was dieser »Freund« diesmal für ein Szenario der Geldübergabe präsentieren würde. Und darüber, zu welchem Vorgehen er selber gezwungen werden würde. Ein weiteres Mal.
Falls sich überhaupt die Gelegenheit dazu bieten würde.
Zu töten. Ein letztes Mal zu töten und endlich einen Strich unter sein altes Leben zu ziehen. Ohne Bilanz ziehen oder Rückschau halten zu müssen. Sondern einfach zu einem klaren, neuen Morgen zu erwachen.
Er wünschte, es wäre schon so weit.
Wünschte, alles wäre vorüber. Leben, solange noch Zeit war?
Als er zum letzten Mal auf die Uhr blickte, war es zehn vor sechs.
Es regnete, als er einige Stunden später erwachte. Ein hartnäckiger Regen, der mit einem starken Wind gegen die Fenster peitschte. Er hörte sich das eine Weile an. Dann stand er auf und duschte.
Den Vormittag und die frühen Nachmittagsstunden verbrachte er mit den Vorbereitungen für die abendliche Mahlzeit. Räumte auf und öffnete einige Rotweinflaschen. Sortierte außerdem Wäsche. Um kurz nach zwei rief Smaage an und erinnerte ihn daran, dass die Brüder sich am kommenden Freitag treffen wollten. Sie redeten eine Weile, und er staunte darüber, wie leicht ihm das gefallen war. Wie locker er das gebracht hatte. Und dabei hatte alles nach dem letzten Treffen angefangen. . . nach diesem verdammten Treffen mit den Brüdern hatte sein altes Leben ein jähes Ende genommen, und alles war in neue wahnwitzige Bahnen geschleudert worden. Er versprach sein Kommen, falls nicht etwas Unvorhergesehenes dazwischenkam, und als er das Wort »Unvorhergesehenes« sagte, spürte er, wie ein kurzes Schwindelgefühl durch sein Bewusstsein huschte. Smaage wünschte ihm ein schönes Wochenende und legte auf.
Schließlich folgte eine Stunde, in der er nichts anderes zu tun hatte, als auf sie zu warten. Zwischen vier und fünf, als die Dämmerung einsetzte und der Wind sich ein wenig zu legen schien. Die Regenschauer dagegen kamen und gingen weiterhin; eine ganze Weile stand er am Schlafzimmerfenster und schaute zum tief hängenden, unruhigen Himmel über dem spärlichen Wäldchen hoch, das hinter der Reihenhauszeile gepflanzt worden war.
Stand in der Dunkelheit und rang mit einem ganz neuen Gedanken.
Ich möchte es ihr erzählen, dachte er. Sie würde es verstehen. Wir könnten es teilen und uns gegenseitig Kraft geben. Das wäre doch etwas?
Um Punkt halb fünf klingelte sie. Als er öffnen ging, hatte er plötzlich weiche Knie.
Es wurde ihr allerbehutsamster Abend. Sie hatte, zumindest anfangs, etwas Reserviertes, und obwohl sie es nicht offen sagte, so merkte er doch, dass die Sache mit Andreas sie quälte.
Es quälte sie, ihrem Mann berichten zu müssen, dass sie ihn wegen eines anderen verlassen wollte. Er verstand ihre Probleme. Verstand auch, dass sie ihm noch keinen reinen Wein eingeschenkt hatte, trotz aller Versprechen. Aber er setzte sie nicht unter Druck. Ließ keine Ungeduld und keine Enttäuschung
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