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Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Vlaarmeiers Ohr verirrt.
    Er riss das Lenkrad herum und schaute in den inneren Rückspiegel. Und sah, dass die alte Frau aufgesprungen war und mit einer Hand gegen das Seitenfenster hämmerte.
    »Anhalten«, rief sie. »Herrgott, nun halten Sie um Himmels willen an!«
    Jochen Vlaarmeier bremste und fuhr an den Straßenrand. Verdammt, dachte er, jetzt ist eine von ihnen vom Schlag getroffen worden.
    Doch als er sich im Bus umschaute, sah er, dass alle drei bei bester Gesundheit zu sein schienen. Oder zumindest schien es ihnen nicht schlechter zu gehen als sonst. Die beiden weiter hinten Sitzenden starrten mit offenem Mund Frau Glock an, die weiterhin gegen das Fenster schlug und Unbegreiflichkeiten von sich gab. Er seufzte, erhob sich und ging zu ihr.
    »Ganz ruhig«, sagte er. »Jetzt mal von Anfang an. Was in aller Welt ist in Sie gefahren?«

    Sie verstummte. Schluckte zweimal so heftig, dass ihr Gebiss dabei klapperte, und starrte sie an.
    »Körper«, sagte sie. »Frau ... tot.«
    »Was?«, fragte Jochen Vlaarmeier.
    Sie zeigte rückwärts, auf den schwarzblinkenden Acker.
    »Da hinten. Am Straßenrand ... Körper.«
    Danach ließ sie sich auf ihren Sitz sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Die beiden anderen Damen stolperten durch den Mittelgang und schienen sich zögernd ein Herz zu fassen.
    »Ein Körper?«, fragte Vlaarmeier.
    Die Frau klopfte wieder gegen das Fenster und zeigte noch einmal auf das Feld. Vlaarmeier dachte zwei Sekunden nach. Dann drückte er auf den Türöffner, verließ den Bus und wanderte am Straßenrand entlang zurück.
    Er fand sie nach ungefähr fünfundzwanzig Metern. Diagonal über dem flachen Graben, der die Straße vom frisch gepflügten Acker trennte, lag ein Frauenkörper. Er war in ein Stück Stoff gewickelt, das aussah wie ein Laken ... wie ein sehr schmutziges und ein wenig zerfetztes Laken, das ein Bein und Teile des Oberkörpers bloßlegte; unter anderem zwei große weiße Brüste und Arme, die in unnatürlichem Winkel vom Leib abstanden. Sie lag auf dem Rücken, ihr Gesicht war dem Himmel zugekehrt, und er sah sehr viel von ihren feuchten rötlichen Haaren, die auf irgendeine Weise an ihrem Kopf zu kleben schienen.
    Zum Teufel, dachte Vlaarmeier. Zum Teufel und seiner Großmutter. Dann gab er sein umfangreiches Frühstück von sich — Brei und Würstchen und Eier — und schwankte zurück zum Bus und zum Telefon.
     
    Als Kommissar Reinhart und Inspektorin Moreno in Korrim eintrafen, hatte es angefangen zu schneien. Große weiße Flocken segelten über die offene Landschaft und lösten sich auf dem feucht blinkenden schwarzen Boden auf.

    Ein Streifenwagen mit zwei Beamten, Joensuu und Kellerman, war bereits zur Stelle. Joensuu stand am Straßenrand bei der Toten, er kehrte ihr den Rücken zu und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Breitbeinig und unbestechlich. Kellerman stand mit Notizblock und Kugelschreiber vor dem Bus und unterhielt sich mit Fahrer und Fahrgästen. Drei alte Damen drückten sich vor der Längsseite des Busses aneinander, alle drei in dunklen Mänteln und Kapotthüten. Reinhart dachte an brütende Krähen, die auf die Straße gesprungen waren, um nach Essensresten zu suchen. Der Fahrer Vlaarmeier lief nervös hin und her und rauchte.
    Warum sitzen die nicht im Bus, dachte Reinhart. Haben die nicht gemerkt, dass es schneit?
    Er befahl Moreno, Kellerman zu helfen. Ging zu Joensuu und sah sich an, was er sich ansehen musste.
    Erst zwei Sekunden lang. Dann kniff er fünf Sekunden lang die Augen zusammen. Dann schaute er wieder hin.
    Er machte das immer so. Er wusste nicht, ob das die Sache wirklich leichter machte, aber im Laufe der Jahre war es zu einer Art Ritual geworden.
    Eine tote Frau also. Nackt, mit größter Wahrscheinlichkeit, notdürftig eingewickelt in eine Art Laken, genau, wie Vlaarmeier es am Telefon beschrieben hatte. Sie lag fast platt auf dem Rücken, der Kopf ruhte auf einer feuchten Ackerscholle, die Füße erreichten gerade den schmalen Grasstreifen, der sich am Straßenrand dahinzog. Rote Zehennägel mitten im Elend, registrierte er; es sah fast surrealistisch aus, zumindest verstärkte es den Eindruck von Unwirklichkeit. Ein ziemlich gut gebauter Körper, soweit er das beurteilen konnte. Irgendwo zwischen dreißig und vierzig, nahm er an, aber das war wirklich nur eine Annahme. Die halblangen dunkelroten Haare verbargen ihr Gesicht. Die Schneeflocken fielen auch über die Frau, als wolle der Himmel das bedecken, was er

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