Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
Fall.
Partie zu Ende. Remis ausgeschlossen.
Danach rief er bei der Bank an. Das Darlehen, das er am
Donnerstag beantragt hatte, war noch nicht bewilligt worden. Es werde noch zwei Tage dauern, aber er brauche sich keine Sorgen zu machen, hieß es. Es sei reine Formsache. Er sei ein solider Kunde, und soliden Kunden werde geholfen. Selbst, wenn man nicht mehr in den Achtzigerjahren lebe.
Er bedankte sich und legte auf. Blieb eine Weile stehen und musterte durch das Fenster die düstere Vorortstraße und den Regen. Vor zwei Tagen würde er keine zweihunderttausend Gulden in gebrauchten Scheinen haben können. Unter gar keinen Umständen.
Also brauchte er etwas anderes.
Also brauchte er eine Strategie.
Er las den Brief noch einmal und versuchte eine zu finden.
22
Im Laufe des Montags nahm das Bild der ermordeten Vera Elizabeth Miller um einiges schärfere Konturen an.
Sie war 1963 in Gellenkirk geboren, aufgewachsen jedoch in Groenstadt. Hatte drei Geschwister — zwei Brüder und eine Schwester —, die alle noch unten in der südlichen Provinz lebten. Ihr Vater war 1982 gestorben, ihre Mutter hatte wieder geheiratet und arbeitete in Karpatz als Hauswirtschaftslehrerin; sie war in der Schule vom Tod ihrer Tochter unterrichtet worden und wurde am Dienstag zusammen mit ihrem neuen Ehemann in Maardam erwartet.
Vera Miller hatte in Groenstadt eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht und dort bis 1991 gearbeitet, danach war sie nach ihrer Scheidung von einem gewissen Henric Veramten nach Maardam übergesiedelt. Aus der Ehe mit Veramten waren keine eigenen Kinder hervorgegangen, deshalb hatten die beiden 1989 ein Kind aus Korea adoptiert, ein kleines Mädchen, das ein Jahr darauf bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen war. Nach Aussage der Mutter und
zweier Geschwister war die Scheidung eine direkte Folge dieses Todesfalls gewesen. Sie sagten es nicht deutlich, aber offenbar hatte der Ehemann den Unfall verschuldet. Direkt oder indirekt. Polizeiliche Ermittlungen waren nie eingeleitet worden.
In Maardam hatte Vera Miller im Frühjahr 1992 ihren Dienst im Gemeinde-Hospital angetreten und zweieinhalb Jahre darauf Andreas Wollger geheiratet. Über diese zweite Ehe wussten Mutter und Geschwister so gut wie nichts. Zum Hochzeitsfest, wenn es denn eins gegeben hatte, waren sie nicht eingeladen worden, und während der letzten Jahre hatte es nur sporadische Kontakte gegeben.
Was Andreas Wollger anging, so war die Lage unverändert. Am Montagabend um sieben Uhr hatte er noch immer nicht ausführlich nach seiner Beziehung zu seiner Frau befragt werden können, da er weiterhin zu sehr unter Schock stand. Moreno und Reinhart waren jedoch trotzdem zu dem Schluss gekommen, dass die Ehe nicht die allerbeste gewesen war.
Und vermutlich auch nicht die zweitbeste.
Diese Annahme musste natürlich noch durch Gespräche mit Leuten bestätigt werden, die das Paar in irgendeinem Zusammenhang gekannt hatten.
Und von Herrn Wollger selber.
Was Vera Miller ganz allgemein betraf, so stellte sich schnell heraus, dass sie eine sehr geschätzte und beliebte Frau gewesen war, das bestätigten Freundinnen und Kolleginnen. Vor allem hatte eine gewisse Irene Vargas — die Vera unten in Groenstadt schon als Kind gekannt hatte und die inzwischen ebenfalls in Maardam wohnte — ihre schockierte Trauer um und ihre Sehnsucht nach, wie sie es ausdrückte, »verflixt noch mal einem der wärmsten und ehrlichsten Menschen, die ich je gekannt habe, es ist einfach schrecklich«, zum Ausdruck gebracht. Frau Vargas und Vera Miller hatten einander offenbar viele Jahre hindurch sehr nahe gestanden, und Reinhart nahm an, dass sie diejenige sein müsste, die einen Einblick in die dunkleren Seiten
von Veras Leben hatte, in mögliche außereheliche Verbindungen zum Beispiel, wenn es überhaupt einen solchen Menschen gab.
Das erste Gespräch mit Frau Vargas hatte in dieser Hinsicht nichts erbracht, aber es würde sich ja auch später noch die Gelegenheit bieten, dieses Thema anzuschneiden.
Und wie. Allem Anschein nach hatte Vera Miller um den Monatswechsel zwischen Oktober und November angefangen, ihren Mann hinters Licht zu führen. Ihm hatte sie gesagt, sie werde für einige Wochenenden, mindestens acht, in Aarlach einen Weiterbildungskurs für Krankenschwestern besuchen.
Wo sie in Wirklichkeit diese Samstage und Sonntage verbracht hatte — und mit wem —, das war weiterhin eine offene Frage.
»Verdammter Trottel«, sagte
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