Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
in ewiger Jagd über einen riesigen Tisch ohne Löcher geträumt. Unergründliche Muster, Kollisionen und Richtungsänderungen, ein Spiel, bei dem alles so unsicher und dennoch so vorherbestimmt wirkte wie im wirklichen Leben. Tempo und Richtung, die den Lauf jeder Kugel über das moosgrüne Tuch prägten, waren der geheime Code, der alle kommenden Ereignisse und Begegnungen enthielt. Zusammen mit Bahnen und Codes aller anderen Kugeln natürlich, wenn auch auf eine dunkle Weise jede einzelne Kugel die Schicksale der anderen in ihrer privaten Möbiusschleife mit sich zu tragen schien, zumindest die Kugel, die er selber war ... eine Unendlichkeit von programmierter Zukunft, dachte er, während er noch im Bett lag und versuchte, einen Aussichtspunkt und einen festen Halt zu finden. . . diese gefangene Unendlichkeit. Vor einiger Zeit hatte er
in einer der Zeitschriften, die er abonnierte, ein paar Artikel über Chaosforschung gelesen, und er wusste, dass ein und dieselbe Theorie sich sowohl auf das, was an Regeln gebunden war, beziehen konnte als auch auf das Unberechenbare. Kompatible Gegensätze. Dasselbe Leben.
Dieselbe Marionette, die an Millionen von Fäden baumelte. Dieselbe geschlossene Ebene. Dasselbe verdammte Leben. Es gab Bilder ohne Zahl.
Derselbe Bruch — denn er zeigte die neue Stoßrichtung an — war entstanden, als er Vera Miller mit dem Rohr den Schädel eingeschlagen hatte. Im Moment der Tat hatte er ganz deutlich vor sich gesehen, dass diese Entwicklung von Anfang an festgelegt worden war, dass er es jedoch unmöglich hätte wissen können.
Das war erst möglich, nachdem er es getan hatte. Dann lag es auf der Hand. Eine Folge, ganz einfach, einer im Nachhinein vorhersagbaren und ganz und gar logischen Ereigniskette ... so natürlich wie die Tatsache, dass die Nacht auf den Tag folgt, Leid auf Freude, so ahnungslos, wie die Morgenröte, wenn es um die Abenddämmerung geht; eine Ursache-Wirkung-Kombination, die die ganze Zeit außerhalb seiner Kontrolle gelegen hatte, aber dennoch vorhanden gewesen war.
Eine Notwendigkeit.
Noch eine teuflische Notwendigkeit also, und als er ihr diese verzweifelten Schläge gegen Nacken und Kopf versetzt hatte, war diese Verzweiflung nur eine vergebliche Abrechnung mit dieser Notwendigkeit gewesen. Sonst nichts. Sie beide waren Opfer in diesem verdammten, vorausbestimmten Totentanz, der Leben genannt wurde, er und Vera, aber er war dazu gezwungen gewesen, den Henker zu spielen. Außerdem , eine Art zusätzliche Auflage, vielen Dank ... inszeniert und bestellt und ausgeführt entsprechend dieser unerbittlichen Kodes und Spuren. Des großen Planes. Das Ergebnis hatte festgestanden, auf ihn war es angekommen, und jetzt war es geschehen.
Unmittelbar vor dem Erwachen hatte er deshalb von der Hand seiner Mutter auf seiner Stirn geträumt, damals, als er
gelbe Galle gekotzt hatte ... und er hatte die Bahnen der verschiedenfarbigen Kugeln vor sich gesehen ... und den Eimer mit ein wenig Wasser auf dem Boden ... und die endlose Zärtlichkeit seiner Mutter ... und die Kollisionen ... wieder und wieder, bis zu dem Moment, in der alles endgültig von einer Flut von rotem Blut überströmt wurde, das aus Vera Millers Schläfenadern quoll, nachdem der erste Schlag mit entsetzlicher Kraft getroffen hatte, so, wie das Schicksal es wollte, wieder und wieder, dieses makabre Melodram, dieser aufgewühlte Wahnsinnswirbel ... und aus dieser Szene heraus war er erwacht und hatte gewusst, dass etwas zerrissen war. Endgültig zerrissen.
Die Haut. Endgültig zerrissen.
Beim Aufstehen sah er, dass auch die Wirklichkeit es nicht an Blut fehlen ließ. Im Bett, auf seinem Teppich, auf den Kleidern, die überall herumlagen. An seinen Händen und auf dem Rohr, das unter das Bett gerollt war und das er zunächst nicht finden konnte.
Und im Auto draußen in der Garage. Auf dem Rücksitz. Überall Vera Millers Blut.
Er nahm zwei Tabletten. Spülte sie mit einem Glas Wasser und einem Fingerbreit Whisky hinunter. Legte sich auf dem Sofa auf den Rücken und wartete, bis sich die erste segensreiche Wirkung des Alkohols einstellte.
Dann ging er ans Werk.
An die Nacharbeiten. So ruhig und methodisch, wie er nur konnte. Er wusch das weg, was sich wegwaschen ließ. Schrubbte und kratzte und versuchte es mit allerlei Mitteln. Er verspürte keinerlei Erregung mehr, keine Reue und keine Furcht ... nur eine kalte, klare Ruhe, und er wusste, dass das Spiel noch immer nach den Gesetzen und
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