Der Ungnädige
kann das irgendwie alles gar nicht glauben. Ich rechne jeden Moment damit, dass sie zur Tür reinkommt. «
» Das ist der Schock « , sagte Rob. » Dauert seine Zeit. «
» Warum musste das denn nur passieren? « Sie fing wieder an zu weinen und rieb sich mit dem zerknüllten Taschentuch die Augen. » Ich versteh einfach nicht, wieso das passieren musste. «
» Ich zeige Ihnen am besten mal Cheyennes Zimmer. « Die Haushälterin stand auf. » Da kann ich wenigstens was tun. «
Die anderen beiden sahen aus, als ob sie sich ärgerten, dass ihnen dieser Vorwand nicht selbst eingefallen war, um sich aus dem Raum zu verdrücken. Gayles Schluchzen war wirklich schwer auszuhalten, zumal wir ihr auch kaum Trost spenden konnten. Trotzdem hatte ich das Bedürfnis, etwas zu sagen:
» Es tut mir so leid, Mrs. Skinner. Ich wünschte, wir hätten sie Ihnen zurückbringen können. «
» Ich weiß. Haben Sie aber nicht hingekriegt. «
» Nein, das stimmt. Sollen wir jemanden für Sie anrufen? Jemanden, den Sie jetzt gern bei sich hätten? «
» Ich hab doch Lydia. « Sie zog die Nase hoch. » Ich bin dran gewöhnt, allein zu sein. Selbst Cheyenne war ja kaum da. Ich wusste ehrlich gesagt nie so genau, wo sie gerade war. Sie müssen mich gar nicht so komisch angucken, ich bin da auch nicht unbedingt stolz drauf. Aber ich wollte sie auch nicht einsperren. Meine Eltern haben mich sehr streng erzogen, und das hat mich total rebellisch gemacht. Mit 18 hab ich geheiratet, nur um von zu Hause wegzukommen. 18. Von nichts eine Ahnung. «
Ich klopfte mir für meine gute Schätzung innerlich auf die Schulter. Ohne ihre Sonnebrille wirkte sie jünger als 32, obwohl ihre Haut unnatürlich glatt war und genau wie bei ihrem Mann verdächtig nach Botox aussah.
» Machen Sie sich keine Vorwürfe, Mrs. Skinner « , murmelte Rob.
» Wem sollte ich denn sonst welche machen? « Wieder schossen ihr die Tränen in die Augen.
» Demjenigen, der sie entführt hat « , sagte ich. Oder vielleicht auch Ihrem Mann, weil er sie mit in seine dreckige Welt hineingezogen hat.
» Sie werden ihn doch finden, oder? «
» Das versprechen wir. « Jetzt, wo kein unmittelbarer Zeitdruck mehr bestand, standen uns alle Ressourcen der Metropolitan Police zur Verfügung. Ich hoffte nur, dass ihr die Ironie daran nicht auffiel.
An der Tür wartete die Haushälterin auf uns und führte uns in den Flur und die gewundene Eichentreppe hinauf. Cremeweißer Teppichboden, so weit das Auge reichte.
» Da kommt beim Putzen bestimmt Freude auf « , bemerkte Rob.
» Nicht mein Problem. Die Putzhilfe kommt zweimal pro Woche. Ich kümmere mich um alles andere: kochen, bügeln, auf Cheyenne aufpassen. Und wenn nötig auch auf Gayle. « Sie öffnete eine Tür. » Das ist Cheyennes Zimmer. «
Es war eher eine Suite. Ein kleiner Vorraum führte in ein Wohnzimmer mit Computertisch, Fernseher, einem breiten Sofa und zwei Sitzsäcken. Alles sah ganz typisch nach Girlie aus. An den Wänden hingen Poster von mir vollkommen unbekannten Bands und Bilder von jungen, attraktiven Schauspielern, schon fast androgyn mit ihren langen Wimpern und dem Schmollmund– und kein bisschen gefährlich oder bedrohlich. Etwas eingehender betrachtete ich eine gerahmte Fotocollage: Freundinnen, die vor der Kamera posieren, in schrägen Outfits bei Kostümpartys, beim Sprung in einen traumhaft blauen Swimmingpool. Im Hintergrund– leicht verschwommen– sah ihnen ein Mann in Polohemd und Shorts zu. John Skinner, nahm ich an, was ja durchaus naheliegend war. Zwei Mädchen tauchten zusammen mit Cheyenne auf fast allen Bildern auf.
» Wer sind denn diese beiden hier? «
Lydia trat nur so weit ins Zimmer, dass sie gerade erkennen konnte, auf wen ich zeigte. » Die besten Freundinnen von Cheyenne. Die eine rechts ist Katie Harper und die andere Lily Flynn. «
Katie war dunkelhaarig und Lily blond mit sehnsuchtsvollem Blick. Katie trug auf den meisten Fotos eine Zahnspange, und trotz Metallbesatz lächelte sie zumeist breit in die Kamera. Beide Mädchen waren kleiner und schlanker als Cheyenne. Ich sah mir ein Bild genauer an, auf dem man die drei zusammen sah– in der Mitte Cheyenne, die ihre Arme fest um den Hals der beiden anderen gelegt hatte und sie ein bisschen hinunterdrückte. Dabei sah sie sehr ausgelassen aus und hatte ein gerötetes Gesicht und einen verwegenen Blick.
Cheyenne hatte lauter kleine Sachen wie Papierschnipsel, Aufkleber und Schokoladenpapier aufgehoben und an ihre Pinnwand
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