Der Ungnädige
sie Asthma? «
» Nicht sehr schlimm. Nur wenn sie gestresst war oder nach dem Sport kam sie ein bisschen ins Keuchen. Sie hat sich zwar geweigert, ihr Asthmaspray beim Ausgehen mitzunehmen, aber ich habe es ihr jeden Tag in die Schultasche gepackt– für alle Fälle. «
Die Schublade daneben enthielt einen Lockenstab, Glätteisen und einen Fön, allesamt mit aufgewickeltem Kabel fein säuberlich verstaut.
» Sie hat sie immer in der Steckdose gelassen. « Lydia kam näher und schaute in die Schublade. » Bevor ich sie morgens in die Schule gefahren habe, bin ich immer noch mal hochgekommen und habe alles kontrolliert– so oft wie sie das Glätteisen nicht ausgeschaltet hat. Hier, sehen Sie mal. «
Sie hob das Tischtuch an, unter dem etliche braune Brandflecken auf der lackierten Fläche zum Vorschein kamen.
» Sie haben sich wirklich um sie gekümmert « , sagte Rob.
» Ich hab aufgepasst, dass sie nicht das ganze Haus abfackelt « , gab sie zurück.
» Das auch. «
» Ich hab getan, was ich konnte. « Sie wandte schnell den Blick ab, und mit belegter Stimme sprach sie weiter: » Die Vorstellungen ihrer Mutter fand ich nicht immer gut, aber was hätte ich denn machen sollen? Cheyenne hatte Disziplin nötig, aber davon hat Gayle keine Ahnung. Sie konnte ihr nur Liebe geben. Denn die hatte sie früher selbst nie bekommen. Bei ihr war es genau umgekehrt: viele, viele Regeln und keine Liebe. «
» Sie kennen sie offensichtlich sehr gut. « Ich drehte mich um, damit ich ihr Gesicht sehen konnte.
» Ich arbeite für sie, seit Cheyenne ein halbes Jahr alt war. Sie sind meine Familie. « Dabei rückte sie einen Kamm und eine Haarbürste zurecht und ließ ihre Hände einen Moment länger darauf ruhen als nötig. » Ich werde so lange bleiben, wie sie mich braucht. «
» Was glauben Sie, wie Gayle damit zurechtkommt? «
» Sie hat noch gar nicht begriffen, was auf sie zukommt, jetzt wo John verhaftet wurde. « Sie schüttelte den Kopf. » Weiß der Himmel. Wahrscheinlich wird sie total durchdrehen. Sie hat ihre Tochter sehr geliebt, wie gesagt. Sie wollte ihre Freundin sein. Das war das Problem. «
» Apropos Freunde. Können Sie uns sagen, wie wir Katie und Lily erreichen? «
» Haben Sie was zu schreiben? «
Rob holte einen Stift aus der Tasche, und ich klappte mein Notizbuch auf. Sie schrieb die Handynummern der Mädchen aus dem Kopf hinein und dazu noch die Adressen der beiden.
» Sie wohnen beide in Richtung Hatfield. Ich habe sie immer von zu Hause abgeholt. Cheyenne konnte es gar nicht erwarten, endlich selbst Auto zu fahren, damit sie kommen und gehen konnte, wie es ihr passt. Unabhängig sein, das war ihr größter Wunsch. « Sie stieß einen langen, bebenden Seufzer aus. » Da fragt man sich natürlich, was man hätte anders machen können. Was hätte ich ihr sagen sollen, um sie davon abzuhalten, sich mit einem Fremden zu treffen? Warum war sie nur so leichtsinnig? «
Lauter Fragen, auf die es keine Antwort gab. Ich ließ meinen Blick durchs Zimmer schweifen und sah ein Mädchen, das gefangen war zwischen Kindheit und einer Erwachsenenwelt, zu der sie so gern gehören wollte. Sie hatte nur die lockende Freiheit gesehen, nicht aber die Gefahren, die damit verbunden waren. Es war sinnlos, der Haushälterin zu sagen, dass sie ihr Bestes getan hatte und sich keine Vorwürfe wegen ungesagter Worte machen musste. Sie wusste genauso gut wie ich, dass das alles nicht mehr zählte.
Ich überredete DCI Redmond und DS Small, mich nach Hatfield zu fahren, damit ich mit den Freundinnen und deren Müttern reden konnte. Fairerweise musste man sagen, dass sie sich kaum darüber beschwerten, obwohl es ein ziemlicher Umweg für sie war. Da die Mädchen erst in ein paar Stunden aus der Schule kamen, setzte ich mich zum Warten in ein Café, ganz für mich allein. Rob hatte sich merkwürdig verlegen entschuldigt und war mit den beiden anderen Kollegen zurück nach London gefahren. Er hatte wohl noch etwas zu erledigen, was ja völlig in Ordnung ging. So blätterte ich lauter nichtssagende Zeitschriften durch, ohne auch nur ein Wort zu registrieren, und trank drei Tassen Tee, doch als ich gerade gehen wollte, fiel es mir ein: Heute war ja Freitag. Natürlich hatte Rob etwas vor– sein heißes Date nämlich.
Als Erstes besuchte ich Katie Harper. Inzwischen war aus dem kichernden Teenie mit Zahnspange eine deutlich beherrschtere junge Dame mit einem bezaubernden Lächeln geworden. Sie hatte um die Augen zwar nicht
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