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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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wie ich am Abend zuvor die Post herausgenommen hatte, nachdem es mir im dritten Anlauf gelungen war, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Besonders würdevoll war das nicht gewesen. Diesmal gab ich jedenfalls eine bessere Figur ab und starrte dann verwirrt auf den Inhalt. Ich war ganz sicher, den Briefkasten völlig ausgeleert zu haben. Etwas Unscheinbares wie eine Postkarte hätte ich ja übersehen haben können, aber doch nicht einen Polsterumschlag, auch wenn er nur klein war. Er hätte dort nicht sein dürfen.
    Dann setzte etwas bei mir ein, was wahrscheinlich Routine war. Ich wühlte in der Tasche nach meinem Telefon und machte mehrere Fotos von dem Umschlag, ehe ich ihn aus dem Kasten nahm– wobei ich mir allerdings etwas albern vorkam. In einer Seitentasche fand ich die Latexhandschuhe, die ich im Lagerhaus nicht benutzt hatte. Ich zog mir einen davon über, damit ich beim Herausnehmen nicht in Hautkontakt mit dem Umschlag kam. Er fühlte sich leicht an, aber nicht leer. Etwas rutschte darin herum. Auf dem weißen Aufkleber war ganz banal in Times New Roman mein Name und meine Adresse aufgedruckt. Je länger ich darauf starrte, umso unwohler wurde mir. Mein Name war als » Detective Constable Maeve Kerrigan– Dezernat für Schwerverbrechen « angegeben. Kein Absender. Kein Stempel. Keine Briefmarke. Persönliche Zustellung. An meine Privatadresse.
    Unter normalen Umständen hätte ich den Umschlag einfach an Ort und Stelle geöffnet, aber irgendetwas beunruhigte mich. Ich kam nicht an dem Gedanken vorbei, dass John Skinner es bekanntermaßen auf Polizeibeamte abgesehen hatte, die er nicht leiden konnte, dass es für ihn überhaupt kein Problem darstellte, meine Adresse herauszufinden, und dass er alles andere als außer Gefecht war, selbst wenn er sich in Haft befand. Und was der eigentliche Clou bei der Sache war: Ich war es, die ihn dahin gebracht hatte.
    Mit dem Umschlag zwischen zwei Fingern ging ich zurück in meine Wohnung, wo ich ihn mit äußerster Vorsicht auf dem Couchtisch ablegte. Da lag er nun, graubraun und nichtssagend, während ich in meinem Wohnzimmer auf und ab patrouillierte und überlegte, was ich tun sollte. Der Gedanke, dass es sich um eine Briefbombe handeln konnte, war lächerlich. Dafür war der Umschlag viel zu klein. Vorsichtig befühlte ich die Ränder. Der Gegenstand darin war nicht so breit wie eine Streichholzschachtel, aber etwa so lang. Wegen eines derart mickrigen Teils brauchte ich doch kein Bombenräumkommando zu holen. Ich beschloss, den Umschlag selbst zu öffnen. Ganz vorsichtig, selbstverständlich.
    Ich legte ein paar frische Blätter Druckerpapier aus, um alles Spurenmaterial aufzufangen, das möglicherweise herausfiel. Mit Handschuhen an den Händen zog ich ganz langsam die Verschlusslasche auf. Es war einer von diesen selbstklebenden Umschlägen, und der Klebestreifen gab überraschend leicht nach, fast ohne einzureißen. Ich zog ihn weit genug auf, um mit Hilfe meiner kleinen Maglite-Taschenlampe hineinspähen zu können. Er war leer, bis auf einen Gegenstand ganz hinten, der mit einem metallischen Funkeln den Lichtstrahl zurückwarf. Ich kippte den Umschlag ein wenig, damit der Gegenstand auf das Papier rutschte. Zum Vorschein kam etwas so Vertrautes, etwas so Unbedrohliches, dass ich trotz meiner Beklommenheit beinahe lachen musste: Es war ein Speicherstick für den Computer. Billig, leicht zu bekommen, mit großer Datenkapazität. Dieser hier sagte mir im Augenblick nicht viel, aber ich brauchte eigentlich nur einen Computer mit USB -Anschluss, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Ich überprüfte den Umschlag noch einmal, um sicherzugehen, dass ich auch nichts übersehen hatte, und verpackte ihn dann zusammen mit dem Stick für genauere Untersuchungen, wenn ich später bei der Arbeit war. Als ich meine Wohnung zum zweiten Mal verließ, war mein Schritt eiliger als vorher. Das gefiel mir nicht, und es gefiel mir auch nicht, dass man mir den Stick zu Hause eingeworfen hatte. Ich wollte wissen, was darauf war, und außerdem wollte ich Wohnungsanzeigen durchforsten. Ich hatte das Gefühl, dass es mal wieder Zeit war für einen Wohnungswechsel.
    Ich hatte den Briefumschlag ja wirklich ernst genommen, aber das war überhaupt nichts im Vergleich dazu, wie Godley und Derwent die Nachricht aufnahmen, die beide schon bei der Arbeit waren, als ich dort ankam.
    » Das macht mir große Sorge. « Der Umschlag und der USB -Stick lagen nebeneinander auf Godleys

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