Der Ungnädige
gesuchte Schachtel war schließlich in der letzten Schublade. Ich nahm zwei Tabletten und spülte mit einem halben Liter Wasser nach.
Dann fragte ich mich, was ich tun sollte, während ich darauf wartete, dass es besser wurde. So durch den Wind, wie ich mich fühlte, war nicht zu erwarten, dass ich noch mal einschlafen konnte. Also rollte ich mich unter der Decke auf dem Sofa zusammen, sah den im Wind schaukelnden Ästen im Park zu und versuchte mich darauf zu konzentrieren, langsam und gleichmäßig zu atmen, um meine Übelkeit zu bekämpfen. Nach einer Stunde hatte ich mich so weit erholt, dass ich ein Bad wagen konnte. Danach bewältigte ich eine Tasse Tee. Nach dem Tee hörte ich meinen Anrufbeantworter ab und erlebte einen moralischen Rückschlag, als die Stimme meiner Mutter meinen Kopf durchflutete.
» Maeve, rufst du denn überhaupt noch zu Hause an? Ich habe versucht dich zu erreichen. Es ist wichtig. Und dein Handy scheint nicht zu funktionieren. «
Es war ihr übliches Klagelied. Sie hinterließ nicht gerne Nachrichten, weil ich sowieso nie darauf reagierte. Die Mailboxansage auf meinem Handy war anonym und austauschbar. Ich konnte immer sagen, dass sie sicher die falsche Nummer angerufen hatte oder dass ihre Nachricht wohl nicht aufgezeichnet worden war. Bei meinem Festnetzanschluss wusste sie aber genau, dass sie meinen Anrufbeantworter erreicht hatte. Wenn man bei der Ansage, die ich dafür aufgenommen hatte, genau hinhörte, spürte man die mangelnde Begeisterung in meiner Stimme. Ich hatte schon gewusst, wer ihn am häufigsten benutzen würde und warum…
Die nächste Nachricht unterschied sich kaum von der ersten, nur dass ihr Ton ungehaltener war. Beim dritten Anruf hatte sie offenbar die Hoffnung aufgegeben, mit mir persönlich zu sprechen.
» Es ist ja bloß gut, dass es nicht um einen medizinischen Notfall geht, da du offenbar unabkömmlich bist. « Immer hatte sie genug Zeit, noch einen Rüffel unterzubringen, ganz egal, wie wichtig der Anruf war, dachte ich. » Ich rufe an, weil ich dir sagen wollte, dass dein Bruder beschlossen hat, seine Trennung nicht weiter voranzutreiben. Er sagt, dass er ihr verzeiht. «
Damit war Abby gemeint, vermutete ich.
» Ich weiß ja nicht, wie er annehmen kann, dass das nun hält, wo sie ihn doch schon einmal betrogen hat, aber er sagt, dass es nichts bringt, sie zur Verantwortung zu ziehen, und dass ja doch nur die Kinder die Leidtragenden wären. «
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. So war er, mein Bruder. Wahre Liebe kann eben alles besiegen.
» Ich weiß auch nicht, ob er einfach nur dumm ist oder zu romantisch veranlagt oder beides. Wahrscheinlich beides. Na egal, ich dachte bloß, dass dich das vielleicht interessiert. «
Plötzlich kam ein leicht verschlagener Unterton hinzu. » Und übrigens hatte ich noch niemandem davon erzählt. Innerhalb der Familie, meine ich. Ich glaube, wir sollten das Ganze einfach vergessen und nicht mehr drüber reden. Es würde ja doch keiner verstehen. «
Wie immer war ich amüsiert und genervt zugleich über meine Mutter, aber diesmal ging das völlig unter in meiner grenzenlosen Erleichterung darüber, dass Dec und Abby es noch mal miteinander versuchen wollten. Dec hätte viel mehr Grund zum Davonlaufen gehabt als ich, aber er blieb standhaft. Er war zu stur, um aufzugeben– zu stur und den Vorstellungen, die er von seinem Leben hatte, zu fest verhaftet. Ich fand, dass Abby wesentlich mehr Glück hatte, als sie verdiente, aber Dec zuliebe wollte ich ihr nicht das Leben schwer machen. Außerdem würde Mum wahrscheinlich ziemlich hart mit ihr ins Gericht gehen. So konnte ich mich zurücklehnen und sie die Drecksarbeit erledigen lassen.
Bei der letzten Nachricht auf dem Anrufbeantworter hatte jemand einfach wieder aufgelegt. Ich wählte die 1471, um zu sehen, wer es gewesen war, und erkannte die Nummer sofort. Der eigensinnige DC Langton hatte am Abend zuvor um zehn nach elf meine Nummer gewählt. Er hatte angerufen, aber keine Nachricht hinterlassen. Immer noch in meine Decke gewickelt rollte ich mich vom Sofa und ging meine Tasche holen. Mein Mobiltelefon lag ganz unten, und als ich es herausgefischt hatte, teilte mir das Display mit, dass ich sieben verpasste Anrufe mit sechs SMS hatte. Ich scrollte durch die Anzeige. Zwei Anrufe waren von Rob, einer von Liv und vier von Mum. Liv teilte mir etwas unartikuliert mit, wie toll sie den Abend mit mir gefunden hatte, und wäre da nicht diese vage
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