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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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Erinnerung gewesen, wie ich dem Taxifahrer mehrmals meine Adresse ansagen musste, damit er sie verstand, hätte ich es sogar lustig gefunden. Ich wollte nicht über das Bild nachdenken, das ich mit meinen zerknautschten Sachen und meinen derangierten Haaren vermutlich abgegeben hatte. Ich war ein bisschen zu alt, um mich so zu benehmen. Und mit meinem Katzenjammer-Teint sah ich noch mindestens zehn Jahre älter aus.
    Die Nachrichten von Mum konnte ich getrost ignorieren, denn was sie auf dem Herzen hatte, wusste ich ja schon. Ich löschte sie ohne das leiseste Schuldgefühl. Nun konnte ich mich ausgiebig mit der Frage martern, was Rob wohl gewollt hatte. Beim zweiten Anruf hatte er mir etwas auf die Mailbox gesprochen, um zwölf nach elf, also unmittelbar nachdem er mich zu Hause nicht erreicht hatte.
    » Dort ist sie nicht, hier ist sie nicht… « Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. » Du glaubst ja gar nicht, wie ich mich darauf freue, mit dir über DI Derwent herzuziehen, jetzt wo ich etwas Zeit mit ihm verbringen durfte. Er ist genauso, wie du gesagt hast, und noch viel schlimmer. « Es folgte ein kurzes Zögern, und dann hörte ich Rob in einem einzigen Atemzug sagen: » Ich hoffe, mit dir ist alles in Ordnung. Melde dich, ja? «
    Er hatte sich also Sorgen um mich gemacht. Ich legte das Telefon vor mich auf den Tisch, drehte es wie einen Kreisel und überlegte, was ich tun sollte. Es war erst kurz vor sieben, also zu früh zum Zurückrufen. Aber dafür waren ja wohl SMS da, und ich tippte eine kurze Nachricht ein. War ein langer Abend. Telefon nicht gehört. Alles okay. Das sah ein bisschen armselig aus, fand ich und ergänzte noch mit Liv nach » Abend « . Zwar fand ich nicht, dass ich ihm erklären musste, wo ich gewesen war, aber schließlich hatte er sich die Mühe gemacht, mich anzurufen. Ich drückte schnell auf » Senden « , bevor ich es mir noch hundertmal anders überlegte, und warf das Handy mit einem Seufzer aufs Sofa.
    Freut mich, dass die Frisur ausgeführt wurde.
    » Ha « , sagte ich laut, » also ist es dir doch aufgefallen. « Mit einem Lächeln im Gesicht stand ich auf, um mich endlich anzuziehen. Ich fühlte mich zwar immer noch sterbenselend, aber auf undefinierbare Weise besser. Sterben nach einem Wochenende im Wellnessclub. Sterben nach einem erfolgreichen Shopping-Trip durch die Schuhläden der Stadt. Verliebt sterben? Insbesondere letzteren Gedanken stellte ich vorerst zurück und konzentrierte mich lieber darauf, mich wieder wie ein respektables Mitglied der Gesellschaft herzurichten und nicht wie eine auszusehen, die bis in die frühen Morgenstunden in der Kneipe gehockt hat.
    Mein heutiges Outfit war ausgesprochen unglamourös: schwarze Hose, schlichtes schwarzes Oberteil, graues Jackett. Nüchtern. Professionell. Im Spiegel sah ich aschfahl aus, die Beule an meiner Stirn zeichnete sich überdeutlich ab. Ich schüttelte meine Haare darüber– froh, dass sie wieder in ihrer natürlichen Unordnung waren– und sah von weiteren Verschönerungsversuchen vorerst ab. Der Tag musste irgendwie bewältigt werden. Ich wollte mich in die Arbeit stürzen, um zu vergessen, wie ich mich fühlte. Und irgendwann würde es sicher besser werden.
    Das einzig Gute daran, so zeitig aufzuwachen, war der dringend nötige Vorsprung, mit dem ich hoffentlich ausbügeln konnte, dass ich mich gestern einfach so von der Arbeit abgeseilt hatte. Während ich mich noch einmal in der Wohnung umsah und meine Tasche holte, fiel mir auf, dass ein kapitaler Kater noch einen weiteren, wenn auch kleinen Vorteil hatte: Der Gedanke an Frühstück war unerträglich, also sparte ich auch noch diese Zeit.
    Behutsam schloss ich die Tür hinter mir, in der Hoffnung, unbemerkt aus dem Haus zu kommen. Nach Gesprächen war mir jetzt ganz bestimmt nicht zumute. Ich fühlte mich so zerbrechlich wie mundgeblasenes Glas, so spröde wie trockenes Herbstlaub. Ein lautes Geräusch hätte mich in tausend Stücke zerspringen lassen. Im Haus war es glücklicherweise ganz leise, so still, wie es in einem alten Gebäude nur sein kann. Langsam gewöhnte ich mich zwar an die Seufzer, die klopfenden Rohrleitungen und knarrenden Dielen, aber ich mochte es immer noch nicht. Vielleicht nächstes Mal doch ein Neubau…
    Dass ich im Gehen noch einmal im Briefkasten nachsah, lag wirklich nur daran, dass ich komplett auf Autopilot geschaltet hatte. An einem Sonntagmorgen hätte der Kasten eigentlich leer sein sollen. Ich erinnerte mich,

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