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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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Ende des Schlagstocks ließ das Glas mehrfach springen und ein paar Dreiecke davon auf den Fußboden im Haus fallen. Niemand kam bei dem Knall des Aufschlags oder dem Klirren der Glasscherben angerannt. Ich fuhr ein paar Mal mit dem Schlagstock den Fensterrahmen entlang und schlug die spitzen Ecken ab, so gut es ging. Nicht eben ungefährlich.
    » Du wirst dich daran in Streifen schreddern, Liv. «
    » Ich decke das hier über das Fensterbrett. « Sie hatte einen alten Sack gefunden, ein kratzig aussehendes Ding, in dem einst Kohle gewesen war. » Bin ich froh, dass ich heute schwarze Klamotten anhabe. «
    » Ja, ich auch. « Ich reckte den Hals, um durch das leere Fenster zu schauen. » Sieht nicht aus, als wäre die Küche in letzter Zeit mal geputzt worden, und ich bin ziemlich sicher, der Rest des Hauses sieht ähnlich aus. «
    » Na, dann wollen wir doch mal einen Blick hineinwerfen. « Mit dem Ellbogen schob sie mich zur Seite und breitete den Sack über die Unterkante des Fensters.
    » Brauchst du ’ne Räuberleiter? «
    » Geht schon. « Sie kletterte auf die Regentonne, hockte einen Moment auf dem Fensterbrett, schwang sich hoch und landete dann mit einem leisen Aufprall und dem Knirschen von Glasscherben auf der anderen Seite. Von drinnen klang ihre Stimme hohl und hallte in dem spärlich eingerichteten Raum wider. » Ich mach die Hintertür auf, okay? «
    Ich wartete und hörte zu, wie sie hantierte, Riegel öffnete und aufschloss. Das Schloss klemmte. Nach den Spinnweben zu urteilen, war die Tür schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt worden, und als Liv sie schließlich aufbekommen hatte, schabte das Holz über die Fliesen und produzierte dabei ein Quietschen, das mir durch und durch ging. Ich stemmte mich mit der Schulter dagegen und schob, während sie zog, und schließlich hatten wir mit vereinten Kräften die Tür so weit offen, dass ich durch den Spalt hindurchpasste. Die Luft, die mich empfing, war unerwartet frisch und kalt. Ich sah mich um und bemerkte das Lüftungsloch in der Wand, durch das ein kalter Luftzug kam und mir die Wange streifte. Obendrein gab es einen Spalt zwischen den Fliesen, wo die Sockelleiste nicht richtig auf dem Fußboden saß. Das Haus war wesentlich weniger solide, als es auf den ersten Blick wirkte. Der Wind, der die Koniferen draußen zauste, fuhr mit einem Heulen hindurch, das sich beinahe wie ein Klagelied anhörte.
    » Die Lampe funktioniert nicht. « Liv schaltete den Wandschalter mehrmals an und aus und wandte sich dann der Arbeitsplatte zu, wo ein kleiner Wasserkocher stand. Mit einem Rauschen ging er in Betrieb, kaum dass sie ihn angeschaltet hatte. » Ah, es gibt also Strom. Nur kein Licht. «
    » Nicht gerade hell hier drin, oder? « Ich schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete langsam die Umgebung ab. Ich verweilte bei dem Gasherd, auf dem eine Bratpfanne stand, in der noch ein Fettfilm glänzte. Neben der Spüle stand eine Tasse, und ich beugte mich darüber, um hineinzuschauen. Braune Ränder. » Jemand hat Tee getrunken. Vielleicht auch Kaffee. «
    » Vor Kurzem? «
    » Jedenfalls ist kein Schimmel zu sehen. « Genau genommen gab es nirgendwo Schimmel. » Wirklich komisch. Hier war jemand, und zwar erst vor Kurzem, aber das Haus ist völlig verwahrlost. «
    » Tja, da wir schon mal drin sind, sollten wir uns ein bisschen umsehen. «
    Wir flüsterten, obwohl wir beim Hereinkommen wahrlich genug Lärm veranstaltet hatten, um nachhaltig auf uns aufmerksam zu machen. Mir fiel auf, dass ich auf Zehenspitzen ging, als ich Liv in den Flur folgte, und ich zwang mich zu einer normalen Gangart, selbstbewusst, wie es sich für eine Polizeibeamtin im Dienst gehörte.
    Liv lief auf der einen Seite des Flurs und ich auf der anderen. Wir öffneten Türen und Schränke. Von drinnen sahen die Zimmer noch prekärer aus– vernachlässigt und unbewohnt.
    » Was hältst du hiervon? «
    Ich ging zu Liv hinüber, um zu sehen, was sie meinte, und stand vor einem kleinen, mit Möbeln vollgestopften Wohnzimmer. Die Wände sahen aus wie ein einziger Trödelmarkt– Bilder und Wandbehänge aller Art, total willkürlich aufgehängt. Die Fächer eines Bambusregals, das ganz in der Ecke stand, beherbergten ein wildes Sammelsurium aus Zierrat und überflüssigem Krempel: alte Batterien, eine Haarbürste, eine Brille– mit den Gläsern nach unten und die Bügel eingeklappt wie die Beine eines toten Käfers, ein Stapel Briefumschläge, diverse Schlüssel, eine Metallklammer–

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