Der Ungnädige
schon lange getrennt von dem, was sie einst zusammenhielt. Ein museumsreifer Fernseher stand auf einem niedrigen Tisch, das rote Lämpchen signalisierte den Standby-Modus. Auf dem Sofa davor lag eine zusammengefaltete Decke, neben einer halb leeren Tüte Chips. Die Luft roch nach Käse und Zwiebeln. Ich nahm probehalber einen von den Chips zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte ihn zusammen. Er war weich und gab etwas nach, was darauf schließen ließ, dass die Tüte schon eine Weile offen dort lag. Das Sofa war kalt, die Kissen eingedrückt.
» Sieht aus, als hätte hier jemand gesessen, allerdings nicht in den letzten Stunden. Gestern vielleicht oder vorgestern. «
Liv nickte. » Gehen wir hoch? «
» Gut, ich zuerst. « Ich wollte eigentlich alles andere als das, was umso mehr ein Grund war, mich dazu zu zwingen. Liv war vorangegangen, als wir in das Haus eingedrungen waren, also war ich jetzt dran, das war ich ihr schuldig.
Selbstverständlich knarrten die Stufen. Ich stieg langsam nach oben, vorbei an dem Buntglasfenster. Der Treppenabsatz war quadratisch, dämmrig und stank nach Kloake. Naserümpfend warf ich Liv einen Blick zu und sah, wie sie im selben Moment das Gesicht verzog.
» Igitt. «
Sämtliche Türen waren geschlossen. Ich probierte es an der erstbesten und fand ein Schlafzimmer vor, dessen Wände mit giftgrüner, eingerissener Tapete beklebt waren. Ein Schwapp von etwas, das einst Suppe gewesen sein mochte, zierte eine Wand. Vom Kopfende des Bettes hing ein dürres Kopfkissen herab, und über das andere Ende war achtlos eine Bettdecke geworfen. Der Nachttisch war leer bis auf eine altrosa Porzellanlampe mit Fransenschirm.
» Sehr stilvoll « , kommentierte Liv. Ich ging so weit hinein, dass ich den Kleiderschrank mit ausgestrecktem Finger öffnen konnte, fand aber nichts als leere Kleiderbügel darin. Der Geruch nach Mottenkugeln wirkte seltsam beruhigend auf mich– auf jeden Fall besser als eine Ungezieferinvasion. Die Dielenbretter ächzten, als ich mich zum Gehen wandte, und mit einer Grimasse machte ich einen Riesenschritt, um in den vergleichsweise sicheren Flur zurückzugelangen.
» Wenn ich durch den Fußboden falle, rufst du bitte den Krankenwagen, ja? «
» Wird gemacht, falls ich hier Empfang habe. « Liv nahm ihr Handy und sah nach. » Zwei Balken. Damit komme ich sicher durch. Wo sind wir noch mal? «
» Bonamy Lodge alias Bancrofts Horrorhaus. Wie mag es hier vor zehn Jahren ausgesehen haben? « Ich öffnete die nächste Tür, hinter der sich ein verwahrlostes Badezimmer mit kahlen, weißen Wandfliesen und einem grau verdreckten Waschbecken befand. » Nicht wesentlich anders, nehme ich mal an. «
Liv steckte den Kopf durch die Tür neben dem Badezimmer. » Ein Klo. Da gehe ich ganz bestimmt nicht rein. «
» Wahrscheinlich kommt der Gestank von dort. «
» Vermutlich. « Sie schnüffelte. » Also frisch duftet es da drin eindeutig nicht. «
Ich musste lachen, als ich ihr Gesicht sah, und öffnete die nächste Tür. Sie klemmte ein bisschen. Ich half mit etwas Druck von meiner Schulter nach und stolperte in das Zimmer, als die Tür plötzlich nachgab. Die Vorhänge waren zugezogen, und es war zunächst schwer, etwas zu erkennen. Vage nahm ich ein Doppelbett wahr, eine Kommode, einen Frisiertisch mit einem dreiteiligen Spiegel, in dem ich mir dreifach zusehen konnte, wie ich mein Gleichgewicht wiederfand. Die Decke war vom Bett heruntergefallen, die Laken seitlich verrutscht, so als hätte jemand das Bett hastig verlassen und alles in Unordnung zurückgelassen. Ich leuchtete mit der Taschenlampe über die Möbel. Ein paar Bürsten mit silberfarbenem Griff und mehrere Bilderrahmen, die auf der Kommode standen, warfen das Licht zurück.
» Das ist Drew. Das ist Lee. « Ich ging näher, um einen genaueren Blick daraufzuwerfen, und sah die selbstbewussten Männer, denen ich begegnet war, als schlaksige Jugendversion. Bei beiden wirkten die Gesichtszüge auf den Fotos seltsam unproportionert. Es hatte etwas gedauert, bis sie in ihr Äußeres hineingewachsen waren. Lee schaute desinteressiert, Drew grinste breit. » Das muss Michaels Zimmer sein. «
Als Liv schließlich antwortete, zitterte ihre Stimme. » Da unten. Da ist was…da unten. «
Ich leuchtete mit der Taschenlampe auf besagte Stelle und begriff mit blankem Entsetzen, dass das heruntergefallene Bettzeug über etwas gebreitet war, das neben dem Bett auf dem Boden lag, keinen Meter von meinen Füßen entfernt.
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