Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
Vom Netzwerk:
zurechtzukommen, hatte sie bestimmt keine Unterstützung von mir nötig.
    In diesem Moment stand sie auf, ging zu Robs Platz und zeigte ihm ein Schriftstück. Während sie sich zu ihm beugte, machte sie eine Bemerkung, die ihn zum Lachen brachte. Ich schluckte. Sie arbeiteten zusammen an diesem Fall– was immer das auch war, was Rob da gerade zu tun hatte–, und sie mussten miteinander reden, ob ich das nun gut fand oder nicht. Und ich fand es überhaupt nicht gut, wie ich mir eingestehen musste.
    Die Tür zu Godleys Büro öffnete sich, und die drei hochrangigen Herren kamen heraus, gefolgt von Bryce, der noch finsterer dreinschaute als sonst. Godley selbst blieb an seinem Schreibtisch sitzen und notierte etwas. Das war schon sehr ungewöhnlich. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er je zuvor darauf verzichtet hatte, seine Besucher zur Tür zu begleiten. Normalerweise waren seine Manieren tadellos, sodass ich mich fragte, weshalb er mit diesen Männern, die zweifellos größten Einfluss auf seine Laufbahn nehmen konnten, derart nachlässig umging.
    » Wir geben ihm noch fünf Minuten, dann gehen wir rein, okay? « Derwent beugte sich von hinten über meine Stuhllehne und hauchte mir beim Sprechen seinen heißen Atem ins Ohr. Ich widerstand dem Drang, meinen Stuhl mit Wucht zurückzuschieben, und begnügte mich damit, mir die Wirkung auszumalen: der Inspector, wie er erstickt hustet, zu Boden geht und sich leise stöhnend die Genitalien hält…was mich gleich wieder an Barry Palmer erinnerte. Meine Heiterkeit erstarb und hinterließ Beschämung. Aber andererseits konnte ich nicht immer nur tugendhaft sein. Und ein gutes Stück meiner Tugend würde sowieso am Abend Rob zum Opfer fallen.
    Rob hatte mir den Rücken zugekehrt, und während ich darauf wartete, hereingerufen zu werden, gönnte ich mir den Luxus, ihn ausgiebig zu betrachten– die Form seiner Schultern, wie er beim Arbeiten mit einer Hand einen Rhythmus auf seinen Oberschenkel trommelte, seine schöne Kopfform, das dunkle Haar. Was vor Weihnachten zwischen uns gewesen war, hatte sich auch in diesen grauen Januartagen, als ich die Notbremse gezogen hatte, nicht in Luft aufgelöst. Die Gefühle waren alle noch da, wenn ich sie denn zuließ.
    Aber ich würde konsequent bleiben. Verstand ging vor Gefühl. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen, und es gab kein Zurück. Auf einmal wurde ich nervös und zwang mich, meine Augen von ihm abzuwenden. Dabei begegnete ich erneut Liz Bowens Blick. Diesmal war ich es, die versuchte zu lächeln, aber als Antwort bekam ich einen langen unterkühlten Blick, der mir die Schamesröte ins Gesicht trieb.
    » Wir sind dran. « Ohne auf mich zu warten, eilte Derwent voran in Godleys Büro, und ich suchte hastig meine Unterlagen zusammen, um ihm zu folgen. Mein Herr Kollege machte es sich offenbar zur Gewohnheit, mich abzuhängen.
    Als ich das Büro betrat, hörte ich gerade noch, wie Godley ungeduldig sagte: » Aber fass dich kurz. Ich muss gleich los. « Derwent nickte ungerührt, wohingegen ich den Chef noch nie so erlebt hatte und froh war, dass Derwent die Initiative ergriff und den derzeitigen Stand der Ermittlungen erläuterte. Godley hörte mit gesenktem und leicht abgewandtem Kopf zu und starrte Löcher in den Fußboden. Als Derwent fertig war, sah er auf.
    » Und, was sagt dir diesmal dein Instinkt, Josh? Wird es noch mehr Tote geben? «
    » Das nehme ich stark an. Solange wir nicht herausfinden, was unser Mörder will, wissen wir auch nicht, weshalb er tötet. Und ich wüsste nicht, warum er nach zwei Morden einfach aufhören sollte. Wenn er sich als Ordnungshüter sieht, der durchgreifen und aufräumen will, dann hat er noch einiges zu tun, bis er sämtliche bekannten Kinderschänder Südlondons beseitigt hat. Das gilt auch für den Fall, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der Spaß daran hat, Pädos umzulegen– vielleicht ein Exhäftling, der schon im Knast solche Pläne hatte, aber dort nicht zum Zuge gekommen ist. «
    » Saßen Barry Palmer und Ivan Tremlett eigentlich mal im selben Gefängnis? «
    Diese Frage konnte ich beantworten. » Nein, Tremlett hat seine Strafe auf Sheppey abgesessen. « Das war eine kleine, trostlose Insel vor der Küste der Grafschaft Kent, die nur über eine Brücke zu erreichen war– nach Aussagen der Verantwortlichen ein idealer Standort für drei Haftanstalten. » Palmer wurde ein bisschen rumgeschubst. Da er keine Familie hatte, konnte man ihn problemlos verlegen,

Weitere Kostenlose Bücher