Der Ungnädige
sobald eine Einrichtung überfüllt war. Er saß erst eine ganze Weile in Mittelengland, dann eine Zeitlang in Yorkshire und zum Schluss in Portsmouth. «
» Dürfte schwer werden festzustellen, ob jemand zeitgleich mit den beiden Opfern inhaftiert war « , überlegte Godley.
» Ausgeschlossen, würde ich sagen, angesichts der vielen Verlegungen von Palmer. Dann müsste man ja für seine komplette Haftzeit Listen erstellen, wer wo und wann mit ihm eingesessen hat, wo diejenigen sonst noch in Haft waren und wo sie jetzt sind. Und selbst dann ist es unmöglich nachzuweisen, dass sie den Opfern tatsächlich begegnet sind. « Derwent schüttelte den Kopf. » Ich kann mich zwar genauso wie du für Sisyphusarbeit begeistern, aber auf diese Weise werden wir den Mörder ganz bestimmt nicht finden. «
» Tja, was können wir denn ausschließen? Macht er das alles zum Spaß? «
» Nein. « Die beiden Männer sahen mich an und warteten auf die Begründung meiner Aussage. Dieses Nein hatte ich ganz instinktiv und überzeugt ausgesprochen, und jetzt brauchte ich einen Moment, um meine Gedanken zu sortieren. Aus den verworrenen Überlegungen kristallisierte sich ein Ansatz heraus: » Die Gewalt, die bei diesen Morden an den Tag gelegt wurde, ist zwar extrem, wirkt aber durchaus gezielt. Die Verletzungen der beiden Männer deuten darauf hin, dass sie mehr oder weniger verhört wurden– die Autopsieberichte lesen sich wie der Folterreport von Amnesty International. Ich glaube, dass unser Mörder mit aller Macht etwas herausfinden will, was ihm bei Barry Palmer offenbar nicht gelungen ist. Vielleicht hatte er bei Tremlett mehr Glück, vielleicht aber auch nicht– das werden wir erst in ein bis zwei Tagen erfahren. «
» Wenn wir die nächste Leiche finden, nehme ich an. « Godley machte ein grimmiges Gesicht.
Derwent schüttelte den Kopf. » Aber ich habe noch in keinem Folterbericht gelesen, dass jemandem sein bestes Stück abgehackt wurde. Danach kriegt man doch nichts mehr aus ihm raus, weil er vor lauter Schmerzen wahrscheinlich ohnmächtig ist. «
» Ich glaube auch nicht, dass das im Zusammenhang mit der Folterung steht « , wandte ich zögerlich ein.
» Halten Sie den Mörder für einen Sadisten? « , wollte Godley wissen.
» Nein. Obwohl ich schon denke, dass ihn Gewalt in gewisser Weise befriedigt. Aber meiner Ansicht nach hat sie keine sexuelle Komponente. Sie fungiert eher als eine Art Bestrafung. Er passt sie den jeweiligen Verbrechen der Opfer an. « Ich blätterte in den Autopsieberichten. » Ivan Tremlett wurden beispielsweise die Augen ausgestochen. Zuerst dachte ich, das hinge damit zusammen, dass er sie für seine Arbeit brauchte und dass ihn zu blenden gewissermaßen die physische Entsprechung zur Zerstörung seiner Computertechnik war– eine ziemlich drastische Aktion, die für mich aber eher im Zusammenhang mit seiner aktuellen Lebenssituation als mit seinen früheren Taten stand. Und dann habe ich mir noch einmal seine Tat vor Augen geführt. Er war ja passiver Konsument, kein aktiver Gewalttäter. Er hat Bilder heruntergeladen, auf denen andere Leute Kinder missbrauchen– soweit uns bekannt ist, hat er selbst keinen Missbrauch begangen. Er fand es erregend, Kinderschändern bei ihren Taten zuzusehen, und genau dafür wurde er bestraft. «
» Und was ist mit Barry Palmer? «
» Die Mädchen haben ausgesagt, dass es mit Grapschereien anfing und dann zu echtem Sex ausartete. Sie haben recht eindeutige Angaben über die Einzelheiten gemacht, auch wenn die Geschichten, was Ort und Zeit betrifft, recht widersprüchlich waren. Der Mörder kannte ihre Zeugenaussage offensichtlich sehr genau, denn er hat bei Barry Palmer genau die Körperteile abgetrennt, mit denen er sie ihren Angaben nach berührt hat. « Ich hielt meine Hände hoch und streckte den rechten Zeige- und Mittelfinger und den linken Zeigefinger aus. » Diese Finger wurden in den Aussagen explizit erwähnt. «
» Aber um das zu wissen, hätte er Zugang zu den Polizeiakten haben müssen. « Als Godley das gesagt hatte, herrschte einen Moment lang betretenes Schweigen. Worauf das schließen ließ, war alles andere als erbaulich. Ich war mir ziemlich sicher, dass jeder von uns schon an die Variante gedacht hatte, wir könnten nach einem Polizisten fahnden. Es gab genügend Kollegen, die jegliches Vertrauen in die Strafjustiz verloren hatten. Da brauchte nur einer von ihnen zu beschließen, in dieser Richtung aktiv zu werden. Und dazu wäre
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