Der Ungnädige
eigentlich nur eine gehörige Portion Nervenstärke nötig. Derwent war schließlich derjenige, der all das in Worte fasste:
» Unser Mörder hat offenbar Zugang zu unseren Informationen. Er muss also jemanden aus unseren Reihen kennen. Oder er stammt selbst aus unseren Reihen. Vielleicht ist es ein Polizist oder eine zivile Bürokraft. Ein Gefängnismitarbeiter, der vor Ort wohnt. Ein Bewährungshelfer, der die Nase voll hat von solchen Klienten. «
» Die Details, die Maeve erwähnt hat, konnte er nur aus den CRIS -Akten kennen– zum Beispiel die konkreten Anschuldigungen gegen Palmer. Das schränkt den Kreis schon etwas ein. « CRIS war die handliche Abkürzung für das Crime and Incident System der Metropolitan Police, ein Online-Archiv für Gewalttaten im Großraum London.
» Das können Polizeibeamte und bestimmte Zivilangestellte sein. Aber der Mörder muss nicht zwangsläufig jemand von uns sein, das dürfen wir nicht vergessen. Er kann auch mit jemandem zusammenarbeiten, der Zugriff auf diese Daten hat « , betonte Derwent.
Godley sah Derwent an und schien zum ersten Mal, seit ich den Raum betreten hatte, vollständig bei der Sache zu sein. » Richtig. Kontaktiere doch mal bitte die IT -Abteilung. Ich will wissen, wer alles den Datensatz über Barry Palmer angefordert hat, seit er angelegt wurde. Ivan Tremlett ist in Kent straffällig geworden. Die Einzelheiten zu seiner Tat sind demnach dort bei der Polizei gespeichert und nicht im CRIS . «
» Aber in Tremletts Fall muss der Mörder genau gewusst haben, wofür er verurteilt wurde. Es gab ja keine direkten Opfer, die gegen ihn hätten aussagen können, sondern nur von anderen produzierte Bilder, die er heruntergeladen hat « , wandte ich ein. » Die entsprechenden Informationen kann er sich aus der Sexualstraftäter-Datei besorgt haben. Wenn er Zugang zum CRIS hat, dann bestimmt auch zu diesen Daten– oder jemand in seinem Auftrag. «
» Oder er kann auf Insiderwissen vor Ort zurückgreifen. Vielleicht ist es ja jemand aus den örtlichen Polizeidienststellen. Die Kollegen dort wissen doch genau Bescheid über die Pädophilen im Umkreis, um sie im Auge zu behalten. Ivan Tremletts Vergangenheit dürfte ihnen also bekannt sein. « Derwent kramte eine Packung Kaugummidragees aus seiner Hosentasche und reichte sie zuvorkommend herum, ehe er sich selbst zwei Stück in den Mund schnippte. Der Pfefferminzgeruch wehte bis ans andere Ende des Raumes zu mir herüber.
Godley wandte sich an mich: » Maeve, Sie werfen bitte einen Blick in die Datei und sehen nach, wer sonst noch darin vermerkt ist. Dann können wir darangehen, weitere potenzielle Opfer zu warnen. «
» Willst du wirklich so viel öffentlichen Aufruhr stiften? « , gab Derwent zu bedenken. » Damit lösen wir doch nur Panik aus. Die Angst vor einem Mörder in der Nähe ist das eine. Aber den Leuten wird dadurch doch erst bewusst gemacht, dass sie Tür an Tür mit Pädophilen wohnen. Der Mob bricht los, es kommt zur Hatz auf Unschuldige, und wir haben den Salat. Die örtlichen Dienststellen werden eine Flut von sinnlosen Anfragen bekommen, denn die Verfechter von ›Sarah’s Law‹ haben es ja inzwischen geschafft, dass so was zulässig ist. «
» Falls du damit Auskünfte im Rahmen des Child Sex Offender Disclosure Scheme meinst: Davon können nur Eltern Gebrauch machen, deren Kinder regelmäßigen Kontakt zu bestimmten Personen haben. Dass der Normalbürger mal eben seine gesamte Umgebung durchcheckt, ist ausgeschlossen, und die Polizei vor Ort sollte in der Lage sein, die Mehrheit solcher Anfragen abzulehnen, wenn sie tatsächlich gegenstandslos sind « , antwortete Godley förmlich.
Derwent machte ein angewidertes Gesicht. » Du willst mir doch nicht einreden, dass du dieses Programm gut findest. Dieses neuerliche Beispiel für naives Wunschdenken lädt doch förmlich dazu ein, mit dem Finger auf beliebige Leute zu zeigen und dabei anzunehmen, dass man rein zufällig einen Kinderschänder erwischt hat. Wenn es so einfach wäre, Pädophile zu identifizieren, könnten wir sie gleich allesamt auf eine einsame Insel sperren, bei rationiertem Trinkwasser und umgeben von fressgierigen Haien. «
» Das Programm hat seine Nachteile, durchaus. Aber die Leute fühlen sich damit sicherer, und ein paar Kinder können so bestimmt geschützt werden. « Godley sah jetzt wieder sehr erschöpft aus, und er musste sich kurz die Augen reiben, ehe er fortfuhr: » Im vorliegenden Fall müssen wir unbedingt
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