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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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ihn eine gefühlte Ewigkeit lang verständnislos an, ehe mein Hirn wieder in Gang kam. Als ich klar denken konnte, durchfuhr mich helle Empörung. Ich befreite meinen Arm aus seinem Griff und legte eine Hand auf meinen Brustkorb, wo sich mein Herz gerade alle Mühe gab, sich durch die Rippen zu sprengen.
    » Sie haben mich fast zu Tode erschreckt. «
    » Tut mir leid « , entschuldigte er sich halbherzig. » Was gab es denn so Wichtiges mit dem Chef zu besprechen? «
    Ausreden wären zwecklos gewesen, denn er wusste genauso gut wie ich, dass wir über ihn geredet hatten. Obwohl er ranghöher war, verhielt er sich kein bisschen danach, sodass ich kein Blatt vor den Mund nahm: » Godley wollte mir nur mitteilen, dass ich Sie nicht für einen Idioten halten soll, obwohl Sie sich so benehmen. So in der Art « , fügte ich hinzu.
    » Sonst noch was? «
    » Er meinte, dass Sie im Job ganz passabel sind. « Ich wartete kurz und nutzte die Gelegenheit, meinen Mantel richtig anzuziehen. Nachdem ich den Gürtel festgezogen und zugeknotet hatte, sagte ich noch: » Da wir ja jetzt beide wissen, was der Chef von uns hält, würde ich gerne los. Ich bin spät dran. «
    » Klar. « Er trat zur Seite, und ich wollte gerade an ihm vorbeigehen. » Ach, und was ich noch sagen wollte…falls Sie noch mehr so schlaue Ideen zu diesem Fall haben, wäre es prima, wenn Sie mich vor wichtigen Besprechungen erst mal einweihen könnten, damit ich nicht ganz so planlos rüberkomme. «
    » Sie waren aber planlos und kannten die Akten nicht « , widersprach ich ihm. » Außerdem ist das mein Job. Laut Godley sind Sie fürs große Ganze zuständig und ich für die Detailfragen. Also, kein Grund zur Sorge, was den Chef angeht. Und was ich in der Besprechung gesagt habe, ist mir außerdem erst in dem Moment eingefallen. Wenn es mir schon eher in den Sinn gekommen wäre, hätte ich es Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Ich hab absolut keine Lust auf irgendwelche Spielchen, ich will einfach meinen Job gut machen, damit wir diesen Mörder fassen. «
    » Wie löblich. « Derwent grinste amüsiert. Das fand ich fast noch verstörender, als wenn er wütend war. » Sie gefallen mir, Kerrigan. Sie geben nicht klein bei. «
    » Eher selten. Jedenfalls nicht, wenn ich im Recht bin. « Ich ging an ihm vorbei in Richtung Treppe. Ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern sagte mir, dass er mir hinterhersah. Zum Glück ahnte er nicht, dass mein Herz immer noch raste und die Hand in meiner Manteltasche vom Adrenalinüberschuss zitterte. Aber ich zwang mich zu einem gemessenen Abgang mit gestrafften Schultern und erhobenem Haupt. Immer noch war ich darauf gefasst, dass er mich noch einmal zurückrief oder mich am Arm packte, und unwillkürlich hielt ich den Atem an, bis ich um die Ecke und damit außer Sichtweite war.
    Ich war viel zu spät losgekommen, und Dec wartete sicher schon auf mich. Ich hatte also allen Grund zur Eile. Aber, um ehrlich zu sein, das war es nicht, weshalb ich den restlichen Weg zu meinem Auto im Laufschritt zurücklegte.

5
    Auf dem Weg zurück zu dem heruntergekommen edwardianischen Haus mit der Doppelfassade, das jetzt mein neues Zuhause war, machte ich mich schon auf das Schlimmste gefasst. Und richtig, kein Declan saß auf den schmutzigen Granitstufen vor der Haustür. Kein Declan hockte missgelaunt und Zeitung lesend hinter dem Steuer seines fast direkt vor der Haustür geparkten Lieferwagens. Kein Declan wartete im Hausflur, als ich die Tür öffnete, obwohl die vor meiner Wohnungstür aufgestapelten Pappkartons untrüglich darauf hindeuteten, dass er hier gewesen war, und zwar erst vor Kurzem. Ich blieb stehen, musterte sie leidenschaftslos und fragte mich, wie viel Kraft es wohl kosten würde, sie allein aus dem Hausflur in meine Wohnung zu befördern, und wie viel Zeit mir danach noch bliebe, um zu duschen und mich zurechtzumachen– nicht viel, lautete die deprimierende Antwort. Nicht genug.
    Meine Wohnung nahm eine Hälfte des Erdgeschosses ein. Der düstere, staubige Hausflur, wo im Augenblick mein Kram herumstand, war normalerweise leer, abgesehen von einem großen, kunstvoll verzierten Treppenaufgang, der auf eine ehrwürdige Vergangenheit des Gebäudes schließen ließ. Eine Erhabenheit, die weit zurücklag. Der bedauerliche Abstieg zu einem Mehrparteienhaus war nicht erst heute oder gestern und auch nicht vor zehn Jahren passiert. Ganz oben im Dach ließ normalerweise ein verdrecktes Oberlicht einen grauen Schimmer von

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