Der Ungnädige
kann eigentlich nur darauf hoffen, dass jemand genau in dem Moment, als euer Opfer den oder die Täter reingelassen hat, zufällig gerade in der Küche war und aus dem Fenster geguckt hat oder aus dem Haus gegangen ist. Denn anders kriegt man so was nicht mit. Und es gibt ja keine Hinweise auf Gewalteinwirkung an der Tür oder im Flur. Sieht wirklich nicht nach gewaltsamem Eindringen aus. Bleibt nur die vage Hoffnung, dass jemand von den Nachbarn schrecklich neugierig war und sich den Hals verrenkt hat, als er die Tür aufgemacht hat. Die Chance dafür scheint mir zwar denkbar gering, aber ich werde sie trotzdem fragen. «
» Tun Sie, was Sie nicht lassen können. « Derwent lief auf und ab. » Ich werde Sie nicht aufhalten. «
Er war offenbar völlig in seine eigenen Gedanken versunken. Bei jedem anderen wäre ich einfach gegangen und hätte etwas Sinnvolles zu tun gefunden. Nur bei Derwent wagte ich das nicht.
» Was soll ich als Nächstes tun? « Er schaute mich geistesabwesend an, und ich riskierte es, ihm einen Vorschlag zu machen. » Sie hatten ein Gespräch mit Mrs. Driscoll erwähnt. «
» Ja, klar. Warum nicht? Reden Sie mit Mrs. Driscoll. Und danach kommen Sie zurück aufs Revier. Ich mache mich auf den Weg zum Leichenschauhaus. Ich will sichergehen, dass wir hier nichts übersehen haben. Es gefällt mir nicht, dieses Weniger an Gewalt. Das gefällt mit ganz und gar nicht. «
» Nicht alle Mörder steigern sich. Sind ja keine Automaten. «
Er sah mich nicht an. » Vielleicht konnte der Priester einfach besser mit dem Täter reden. Vielleicht hat er ihn ja davon überzeugt, ihn von seinem Elend zu befreien. Tot war er weiß Gott besser dran. «
Zwar ein durchaus passendes Epitaph für einen in Ungnade gefallenen Priester, allerdings auch ein sehr zynisches, dachte ich, während Derwent sich zu seinem Auto begab. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn stand ich da. Auch mir gefiel etwas nicht, was aber nicht mit der fehlenden Gewaltsteigerung zusammenhing. Dafür ließen sich Erklärungen finden, von denen ich einige ja schon geliefert hatte. Was ich mir nicht zufriedenstellend beantworten konnte, war die Frage, warum die drei Opfer auf so verschiedene Weise gestorben waren. Barry Palmer wurde der Schädel zertrümmert, Ivan Tremlett die Kehle durchgeschnitten und Fintan Kinsella der Kopf weggeschossen. Unterschiedliche Foltermethoden konnte ich mir noch erklären, aber ein Mörder, der mit drei so verschiedenen Tötungsmethoden aufwartete, war mir ein echtes Rätsel. Es deutet auf rohe Gewalt und einen deutlichen Mangel an Finesse hin, wenn jemand erschlagen wird. Jemandem die Kehle durchzuschneiden, war unübertroffen gründlich und effektiv. Den Priester zu erschießen, war zweifellos roh und gewalttätig, wahrte aber eine gewisse Distanz zwischen Täter und Opfer und ließ auf eine Art von Verschämtheit schließen, die sich nicht so richtig mit den beiden anderen Fällen vertrug. Es passte einfach nicht zusammen. Langsam fragte ich mich, ob wir nicht vielleicht nach drei verschiedenen Tätern suchten statt nach einem einzelnen, was bestimmt lächerlich war– und trotzdem in Betracht gezogen werden musste.
Aber ich hatte die Überlegung nicht geäußert. Der Gedanke war mir in dem Moment gekommen, als ich Kinsellas Leichnam gesehen hatte, doch ich hatte ihn nicht einmal angedeutet. Es war beinahe, als wollte ich ihn für mich behalten, damit ich ihn bei erstbester Gelegenheit mit Godley besprechen konnte. Doch das würde ich ganz sicher nicht tun. Das hatte ich dem Inspector am Abend zuvor versprochen. Ich hatte gesagt, dass ich an Spielchen nicht interessiert war. Lügen kam für mich nicht in Frage . Nicht bei ihm.
Ich sah Derwent nach, wie er davonfuhr, und spürte nicht die leisesten Gewissensbisse.
8
Eher unerwartet wurde es im Laufe des Tages doch langsam besser. Vermutlich war es kein Zufall, dass DI Derwent den ganzen Nachmittag mit der Autopsie zu tun hatte. Sicher wäre er enttäuscht gewesen zu erfahren, dass mir die Vernehmung von Mrs. Driscoll alles andere als lästig gewesen war. Ganz im Gegenteil– es war sogar ausgesprochen angenehm.
Mrs. Driscoll wohnte auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber vom Tatort, in einer Einliegerwohnung im Erdgeschoss, die ein Spiegelbild der Wohnung des Priesters war. Sie war eine kleine, drahtige Frau und hatte blauschwarz gefärbtes Haar, das aussah, als würde es sich derb anfühlen, wenn man es anfasste. Obwohl sie bestimmt schon über
Weitere Kostenlose Bücher