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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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den Augen lassen, sonst hätten sie doch sofort geklaut wie die Raben. Deshalb hat er immer auf sie aufgepasst– in ihrem eigenen Interesse. Er war vollkommen unschuldig. Nie im Leben wäre er auf den Gedanken gekommen, dass etwas Unanständiges dabei ist, sich im selben Raum aufzuhalten wie sie. Und das war es auch nicht. Hat denn nicht Christus selbst seinen Jüngern die Füße gewaschen? «
    » So sagt man. « Das alles sprudelte wie ein Wasserfall aus ihr hervor, sodass ich kaum hinterherkam. » Wissen Sie denn, ob er so etwas in dieser Gemeinde auch getan hat? «
    Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, die sich auf nicht viel mehr als 1,50 Meter belief. » Nein. Das war auch nicht nötig. Das ist eine ehrbare Gegend hier. Die Kinder laufen nicht verwahrlost auf der Straße herum. In Liverpool können sie das ja gerne machen, aber hier nicht. Niemand würde es wagen, sich so zu benehmen. Kein Kind würde ungewaschen in diese Kirche gehen, ohne dafür von seiner Mutter kräftig ein paar hinter die Ohren zu bekommen. « Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, meinte sie das genauso, wie sie es sagte. » Pater Fintan war ein ganz reizender Mensch. Durch und durch anständig. Wir haben ihn gerne wieder aufgenommen, als er eine Zuflucht brauchte. «
    » Wollte er denn nicht zurück nach Irland gehen? «
    » Er hatte ja dort niemanden mehr. Seine Schwestern waren nach Kanada ausgewandert, aber sie leben beide nicht mehr. Und seine Eltern sind natürlich auch längst gestorben. Sein Bruder war irgendwo Missionar– vielleicht in Afrika oder auf den Philippinen, ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht. Seine Familie war buchstäblich in alle Winde verstreut, sodass er eigentlich keine Heimat mehr hatte. Da war sein Zuhause am ehesten noch hier. « Die wässrigen Augen blinzelten, und zwei Tränen rollten in den senkrechten Runzeln ihrer Wangen nach unten. » Ach ja « , seufzte sie, » natürlich wollen wir alle irgendwo zu Hause sein, aber erst wenn man richtig darüber nachdenkt, versteht man, was das eigentlich bedeutet. Es ist da, wo sich die Leute an dich erinnern, wo du geliebt wirst. Und für ihn war das hier. Er war schon viel zu lange weg aus Irland. Das Land war ihm fremd geworden und er den Leuten dort auch. Hier war er wesentlich besser aufgehoben. «
    Zumindest so lange, bis ihn jemand brutal ermordet hat, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Und als hätte sie es gehört, musterte sie mich mit feucht glänzendem Blick.
    » Es war ein Raubüberfall, oder? Haben sie Geld gesucht? «
    » Wir kennen das Motiv noch nicht. Im Moment ermitteln wir in alle Richtungen. «
    » Genau das hat der andere Kollege auch gesagt. Dieser Esel, der vorher hier war. «
    Ich strahlte sie an. » Inspector Derwent? «
    » Genau, der. Ein furchtbarer Idiot. Einer von den ganz Schlauen. Aber solche Leute haben meistens überhaupt keine Ahnung. «
    » Das habe ich auch schon öfter festgestellt. «
    » Er wollte überhaupt nicht zuhören. Andauernd musste er mich unterbrechen und irgendwelche Fragen stellen. Und dann hat er bei meinen Antworten nicht mal zugehört. Immer nur ›ja ja ja‹ hat er gesagt, wenn ich geredet habe, und gedrängelt. Ich weiß ja selbst, dass ich manchmal nicht gleich zur Sache komme, aber ich wollte eben, dass er versteht, wie Pater Fintan war. Niemand hätte ihn umbringen wollen. Nicht so. Gott sei uns gnädig, als ich sehen musste, was sie ihm angetan haben… « Sie schloss die Augen und sah plötzlich sehr gebrechlich aus. Ich rief mir in Erinnerung, welcher Anblick sich ihr geboten hatte, als sie die Schlafzimmertür öffnete.
    Ich selbst war ja hinreichend gewarnt worden und hatte mich darauf vorbereiten können. Und trotzdem konnte ich es kaum ertragen zu sehen, was von dem alten Mann geblieben war.
    » Das war bestimmt ein schrecklicher Schock für Sie. «
    » Ja, das können Sie mir glauben. Ich hatte mir ja nur Sorgen gemacht, weil er noch nicht aufgestanden war. Sonst war er immer schon auf, wenn ich kam. Normalerweise ging er um sieben zur Messe. An diesem Morgen hatte ich ihn dort nicht angetroffen, mir aber nichts weiter dabei gedacht. Ich hatte angenommen, dass er sich nicht wohlfühlt oder verschlafen hat oder so was in der Richtung. Als ich dann seine Tür geöffnet und nach ihm gerufen habe und keine Antwort kam– da habe ich schon geahnt, dass irgendwas nicht stimmt. Aber sonst gab es keinerlei Anzeichen, dass etwas passiert sein könnte. Außer dass seine Schlafzimmertür

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