Der unheimliche Kommissar Morry
daran vorbei komme, gewisse Routineermittlungen zu erheben."
Ashton seufzte.
„Klar. Aber es ist doch recht peinlich, mit derlei Fragen, die ja doch nur schlecht verhüllte Verdächtigungen sind, in Berührung gebracht zu werden. Sie sind Polizist, Kommissar. Es mag eine Menge Dinge geben, die zum täglichen Rüstzeug Ihres Berufes gehören, Dinge, die Ihnen völlig normal und verständlich erscheinen mögen, die uns brave Bürger aber erschrecken. Wir sehen in der Polizei den zuverlässigen Bobby an der nächsten Straßenecke. Ein Besuch von Scotland Yard ist uns selbst dann zuwider, wenn man sich völlig unschuldig weiß. Ich vermute, daß da noch ein Stück Kindheit in uns nachwirkt, die oft beschworene Furcht vor dem schwarzen Mann...“
Der Kommissar lächelte flüchtig.
„Ich verstehe das sehr gut, Mister Cabott. Diese Regungen sind uns nichts Neues. Aber bei allem Verständnis für derlei Reaktionen können wir doch nicht umhin, die vorgeschriebenen Richtlinien zu beachten. Also: gibt es Zeugen für Ihr Nachhausekommen?"
„Nein", antwortete Ashton. „Harvey, der Butler, ist die einzige Person, die außer mir im Hause wohnt. Er schläft, wie er Ihnen gern versichern wird, außerordentlich fest. Sie können nicht erwarten, daß ich in jeder Nacht an sein Bett trete und mich zurück melde, nur um für alle Fälle und für alle Verbrechen, die sich in London ereignen, stets ein Alibi zu haben. Selbst wenn er mich kurz nach zwei Uhr gesehen und gehört haben sollte, wäre doch nicht von der Hand zu weisen, daß ich das Haus ohne sein Wissen erneut verlassen hätte, nicht wahr? Wie Sie sehen, wäre diese Art von Alibi eine höchst zweifelhafte Sache."
„Kehren wir zu der Unterhaltung zurück, die Sie mit Miß Britton geführt haben. Was fiel Ihnen an dem Gespräch und an Miß Britton besonders auf?“
„Am bemerkenswertesten war ohne Zweifel Miß Brittons Furcht. Sie fühlt sich seit Tagen bedroht, ohne genau angeben zu können, worin die Bedrohung eigentlich besteht. Sie ist überzeugt, beobachtet zu werden, hat aber nie jemand dabei zu ertappen vermocht. Ich vermute, sie hat Ihnen eine ganz ähnliche Erklärung gegeben?"
„So ist es. Haben Sie in der Bar eine Person bemerkt, die Miß Britton folgte?"
„Ich muß Ihnen gestehen, daß ich nicht darauf achtete. Ich wechselte noch ein paar Sätze mit dem Mixer..."
„Worüber sprachen Sie?" unterbrach der Kommissar.
„Ist das so wichtig?"
„Vielleicht."
Ashton hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
„Worüber sollen zwei Männer schon sprechen? Wir unterhielten uns natürlich über Miß Britton, ja, und über die Schwester."
„Seit wann kennen Sie Miß Constance?"
„Seit gestern Abend. Ich lernte sie auf einer Cocktailparty kennen, die die Burleys gaben. Später fuhr ich ins Carlton, ohne eine Ahnung zu haben, daß ich dort Miß Britton antreffen würde. Ich bin ein häufiger Besucher der kleinen Bar. Als überraschend Miß Britton auftauchte, war es bloß natürlich, daß ich ihr Gesellschaft leistete. Sie schien froh zu sein, einmal ihr Herz ausschütten zu können. Ich muß gestehen, daß ich die Schilderung ihrer Befürchtungen für übertrieben und überspannt hielt. Jetzt freilich, im Licht der nächtlichen Ereignisse, weiß ich, daß die junge Dame in der Tat einen erstaunlich guten Instinkt entwickelte und nur allzusehr im Recht war."
„Welcher Punkt der Unterhaltung blieb Ihnen am deutlichsten im Gedächtnis haften?"
Ashton dachte kurz nach. Dann sprach er: „Merkwürdigerweise schien sie von dem Mann, den sie noch nie gesehen hatte, eine ziemlich fest umrissene Vorstellung zu haben."
Morry nickte. Er erhob sich plötzlich.
„Vielen Dank", sagte er. „Das ist zunächst alles."
Ashton brachte den Besucher an die Tür.
„Ich stehe Ihnen selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung. Ich werde Miß Britton nachher anrufen oder aufsuchen, und mich bemühen, sie über den empfindlichen Verlust hinwegzutrösten."
Nachdem der Kommissar gegangen war, genehmigte sich Ashton Cabott einen doppelstöckigen Whisky. Er war zufrieden mit sich und der Art, wie er den berühmten Kommissar abgespeist hatte. Er hatte ihm genau die richtige Mischung von Hilfsbereitschaft und Polizeifurcht vorgegaukelt, die man von einem ehrsamen Bürger im allgemeinen erwarten darf.
Aber weder der Kommissar noch die Polizei bildeten sein eigentliches Problem. Sie waren ihm noch niemals hinderlich gewesen; er hatte seine ,Arbeit' stets so
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