Der unheimliche Kommissar Morry
ein hellblaues Jersey Jumperkleid, das einen lebhaften Kontrast zum leuchtenden Kastanienbraun des Haares bildete. Alles in allem wirkte sie keineswegs wie ein Mädchen, das einem archäologischen Hobby nachgeht. Sie hielt das dicke Buch mit ihren schlanken Fingern umschlossen und betrachtete ihn aufmerksam.
„Meine Schwester hat mir von Ihnen erzählt", erklärte sie mit ihrer etwas hochmütigen, aber durchaus fesselnden Stimme. „Wie ich höre, waren Sie gestern Abend mit ihr zusammen."
„Wir wurden einander bei den Burleys vorgestellt und trafen uns später zufällig in der Bar des Hotels."
Britta nickte. „Ja, das erwähnte Constance. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht zu ahnen, welche Aufregungen uns erwarteten."
„Ich bedaure den Verlust, der Sie und Ihr Fräulein Schwester betroffen hat, aufs tiefste."
Britta lächelte ein wenig. „Vielen Dank für die liebenswürdige Anteilnahme — aber ich fürchte, es ist eine reine Gefühlsverschwendung. Man macht einfach zuviel Aufhebens davon. Die Versicherung hat eine hohe Belohnung für die Ergreifung des Täters ausgesetzt. Ich bin sicher, daß man ihn schon bald stellen wird."
„Diese Aussicht besteht nur dann, wenn der Täter Mitwisser hat."
„Es wird Hehler geben, denen er den Schmuck anzubieten versucht. Diese Hehler werden sich überlegen, ob es nicht ratsamer ist, die Belohnung zu kassieren, als sich durch einen Weiterverkauf der Strafverfolgung auszusetzen."
„Hehler sind es gewohnt, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Man darf nicht übersehen, daß es das Ende ihres kriminellen Berufes wäre, wenn sie einen ,Kunden' der Polizei preisgeben würden. Es gibt auch in diesem Kreis eine etwas verschrobene Auffassung von Ehre, und jeder, der sie mißachtet, muß mit der völligen Isolierung, wenn nicht mit Schlimmerem rechnen."
Britta zuckte mit den schmalen Schultern.
„Ach, wenn schon! Die Versicherung wird auf alle Fälle zahlen, das wurde uns bereits fest zugesagt. Warum also die ganze Aufregung? Was ist schon Schmuck? Ich selbst habe nicht viel besessen, und ich bin keineswegs sicher, daß ich den gesamten Versicherungsbetrag für eine Neubeschaffung verwenden werde."
Ashton, der sich bei aller Verbindlichkeit jenes männlichen sicheren Tones befleißigte, der bei den meisten Damen gut ankommt, war überzeugt, daß es nicht leicht sein würde, die Zuneigung und Sympathie von Britta Britton zu gewinnen. Er spürte ihre innere Reserve, die zweifelsohne nicht nur ihm, sondern allen Menschen galt. Es wird ein schweres Stück Arbeit sein, sie auf meine Seite zu ziehen, überlegte er. Schwer, aber nicht unmöglich.
„Die Polizei war heute auch bei mir", sagte er. „Ein gewisser Kommissar Morry. Ich war überrascht, ihn bei mir anzutreffen. Ich muß zugeben, daß er sich sehr korrekt und zivilisiert benahm. Er stellte nur ein paar Routinefragen und verließ nach wenigen Minuten das Haus."
Britta lächelte mit leichtem Spott. „Warum sollte sich die Polizei nicht zivilisiert benehmen?" fragte sie. „Ich muß gestehen, daß der von Ihnen erwähnte Kommissar Morry auf mich einen ungemein starken Eindruck hinterlassen hat. Er ist ohne Zweifel ein sehr gebildeter und gewandter Mann. Verblüffenderweise wußte er sogar über mein Fachgebiet Bescheid, und zwar viel besser, als manche meiner pseudowissenschaftlichen Kollegen. In der Tat, ein erstaunlicher Mann!"
Die Zimmertür öffnete sich und Constance kam hereingewirbelt. Sie sah jung und frisch aus. Das Lächeln, mit dem sie Ashton, der sich erhoben hatte, begrüßte, war von strahlender Liebenswürdigkeit. Nichts in ihren frohen, entspannten Zügen deutete darauf hin, daß sie den Verlust ihres Schmuckes als bedrückend oder gar schmerzlich empfand.
„Nett, daß Sie mal hereinschauen!" sagte sie burschikos und drückte ihm die Hand. „Aber warum so ernst? Es ist nichts geschehen, das zur Trauer Anlaß gäbe!"
Ashton seufzte erleichtert. „Ich bin wirklich froh, daß Sie es so auffassen!"
„Behalten Sie doch bitte Platz. Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?! Möchten Sie einen Whisky . . . oder sind Sie so stockenglisch, daß Sie um diese Tageszeit auf Ihren Tee bestehen?"
„Ich fürchte, ich bin tatsächlich stockenglisch. Gegen eine Tasse Tee hätte ich nichts einzuwenden."
„Trinkst du mit uns?" fragte Constance und blickte die Schwester an.
Britta erhob sich und ging zur Verbindungstür. „Tut mir leid, Constance. Du weißt, daß ich die Sitte des Teetrinkens sehr schön finde,
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