Der unheimliche Kommissar Morry
öffnete sich. Ashton stand auf. Er hatte die rechte Hand in die Jackettasche geschoben. Seine Finger umspannten den Griff der entsicherten Pistole. Der eintretende Mann zog die Tür hinter sich ins Schloß. Er war etwa fünfundvierzig Jahre alt und sah recht distinguiert aus.
Er trug einen dunkelbraunen Anzug mit Nadelstreifen und eine silbergraue Krawatte.
Er war groß und breitschultrig. Der schmale, wohlgeformte Kopf mit dem dunklen, an den Schläfen leicht angegrauten Haar, verriet den Mann von Bildung und Erziehung. Er hatte helle, aufmerksame Augen, die Ashton mit leiser Verwunderung, aber keineswegs furchtsam betrachteten.
Die ringlosen Hände des Mannes waren lang, schmal und sensibel. Sie hingen lose an den Seiten herab. Nicht das leiseste Zucken eines Muskels deutete darauf hin, daß in dem Mann Angst oder Nervosität wohnten.
Ashton war enttäuscht. „Sir Macolm?" fragte er.
Der Mann an der Tür nickte. Ashton grinste. Das nützt dir nicht viel, dachte er. Du wirst sprechen müssen. Deine Stimme wird dich verraten. Sie wird dich verraten, wenn du sie verstellst, und sie wird dich verraten, wenn du normal sprichst . . .
„Ich habe lange auf Sie gewartet."
„Das erzählte mir der Butler."
Ashton schluckte. Er spürte, daß seine Hand am Pistolengriff schweißfeucht wurde. Beim Klang dieser dunklen Stimme, die nicht das geringste mit der des ,Unheimlichen' gemein hatte, fielen seine Hoffnungen und Pläne wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das hier war nicht der Mann, der ihn am Vormittag aufgesucht und zu ihm gesprochen hatte.
„Darf ich erfahren, was Sie zu mir führt?"
„Ich . . . ich . . ." begann Ashton stotternd. Er merkte, daß er einen roten Kopf bekam.
„Nun?"
„Sie waren in Brighton?“ fuhr Ashton fort, um etwas Zeit zu gewinnen.
„Ich meine, der Butler hat Sie davon unterrichtet?"
Es war zu spüren, daß Sir Macolm ganz frei und natürlich sprach. Wenn seine Stimme eine gewisse Reserve erkennen ließ, so lag das sicher an dem Erstaunen, das er über den unerwarteten Besuch empfand.
„Ich ... ich glaube, daß ich das Opfer einer Verwechslung geworden bin", erklärte Ashton und zog das verknitterte Kärtchen aus der Tasche. „Kennen Sie diese Karte?"
Sir Macolm nickte. Er vermied es, die nicht ganz saubere Karte mit den Fingern zu berühren.
„Natürlich, Karten dieser Art werden von unseren leitenden Angestellten benutzt. Warum fragen Sie?"
„Das Kärtchen wurde von einem Mann verloren, dem ich auf den Fersen bin."
„Auf den Fersen?" erkundigte sich Sir Macolm verblüfft. „Soll das heißen, daß Sie von der Polizei sind?"
„Nein", versicherte Ashton rasch. „Die Erhebung ist privater Natur. Mein Name ist Cabott . . . Ashton Cabott!"
Sir Macolm legte die Stirn in Falten. „Cabott? Mir ist so, als hätte ich den Namen erst kürzlich gehört."
Ashton verspürte keine Lust, den Hausherrn darauf hinzuweisen, daß der Name vermutlich durch Britta Britton erwähnt worden war. Ihm lag nichts daran, daß die beiden Schwestern etwas von diesem Besuch erfuhren,
„Sie sagen, die Karten werden von den leitenden Angestellten des Museums benutzt. Wie groß ist dieser Kreis?"
„Oh, es sind etwa zwölf Leute. Natürlich schicken wir gern gelegentlich ein paar Einkäufer und Experten der zweiten Garnitur auf die Reise. Die erhalten dann die gleichen Kärtchen. Ich würde sagen, daß sie von insgesamt zwanzig Personen benutzt werden."
„Können Sie mir verraten, ob einer dieser Leute durch eine besonders kühle, sachliche und etwas metallisch klingende Stimme auffällt?"
Sir Macolm dachte kurz nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Metallisch? Nein, daran könnte ich mich erinnern."
Ashton murmelte ein paar Entschuldigungen und verließ nach dem holprigen Abschied das Haus. Er war froh, als er wieder in seinem Wagen saß. War jetzt alles verloren, oder hatte er nur einen kleinen Rückschlag erlitten? Die einzige Spur, die zu dem Täter führte, war die Visitenkarte. Zwanzig Leute benutzten die gleichen Karten. Keiner von ihnen hatte, nach Sir Macolms Angaben, eine metallisch klingende Stimme. Ashton fuhr nach Hause. Da er sich müde und zerschlagen fühlte, suchte er nach einem Bad das Bett auf. Mitten in der Nacht erwachte er.
*
Er vermochte nicht zu sagen, was ihn geweckt hatte. Es war völlig still im Haus. Nur neben ihm, auf dem kleinen Nachtschränkchen, tickte leise und emsig der Wecker.
Er richtete sich auf. Das Fenster des im ersten Stockwerk
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