Der unheimliche Kommissar Morry
liegenden Schlafzimmers stand offen. Ihm fielen die Ereignisse des Tages ein, und er fragte sich, ob es nicht leichtsinnig gewesen war, bei offenem Fenster zu schlafen. Über den Balkon konnte jeder, der sich einigermaßen geschickt anstellte, in das Schlafzimmer eindringen.
Aber wer hätte das tun sollen? Der .Unheimliche' besaß das Geld und den Schmuck. Er wartete darauf, den Rest des Vermögens in seine Hände zu bekommen. Da er nicht mit Sir Macolm identisch war, bestand für ihn nicht der geringste Anlaß, dem Haus einen nächtlichen Besuch abzustatten. Ashton knipste das Licht an.
Immerhin war er erleichtert, festzustellen, daß sich niemand im Zimmer befand. Vorsichtshalber blickte er sogar unter das Bett. Erst dann war er beruhigt. Die Zeiger des Weckers wiesen auf zwei. Was hatte ihn geweckt? Ein Geräusch? Oder einfach die innere Unruhe?
Er fand keine Antwort auf diese Fragen. Er wußte nur, daß es ihm nicht leicht fallen würde, wieder einzuschlafen. Er verlöschte das Licht und dachte nochmals über die Ereignisse des Tages nach. Er spürte1, daß es irgendwo einen Punkt gab, den er übersehen oder falsch bewertet hatte. Wo lag der Fehler?
Die größte Enttäuschung des Tages war die Entdeckung gewesen, daß zwischen Sir Macolm und dem Unheimlichen keine Personengleichheit bestand.
Sir Macolm. . .
Noch einmal zeichnete Ashton in Gedanken die seltsame und für ihn zutiefst enttäuschende Begegnung des Abends nach. Sein Herz klopfte stärker. Ihm schien es so, als sei er der Lösung ganz nahe gerückt. Was hatte an der kurzen Unterhaltung nicht gestimmt? Was war daran falsch gewesen? Nichts. Oder doch?
Plötzlich wußte er es. Der Anzug. Der Anzug mit den Nadelstreifen. Er war in den Schultern zu knapp und in der Taille zu locker gewesen. Die Hosen hatten gestaucht . . .
Nun weiß jedermann, daß besonders Intellektuelle ihr Äußeres oft vernachlässigen. Aber da das Innere des Hauses von Sir Macolm einen vollendeten Geschmack bewiesen hatte, war nicht einzusehen, warum der Besitzer in Dingen persönlicher Eitelkeit versagen sollte. Ashton knipste erneut das Licht an. Er atmete heftig. War das die Lösung?
Hatte der richtige Sir Macolm nur einen Strohmann vorprellen lassen, um selbst nicht in Gefahr zu geraten? War die Komödie inszeniert worden, um ihn, Ashton Cabott, zu täuschen?
Das würde sich rasch zeigen. Er kleidete sich an und eilte hinab in sein Arbeitszimmer. Dort knipste er die Schreibtischlampe an und sah sich um. Er konnte nichts Verdächtiges bemerken. Bevor er an das Telefon trat und Sir Macolms Nummer wählte, überzeugte er sich davon, daß die Pistole in seiner Jackettasche war.
Er mußte lange warten, bevor sich am anderen Ende der Leitung der Butler meldete.
„Ich möchte Sir Macolm sprechen, bitte. Es ist sehr dringend. Das Museum brennt!"
„Augenblick, bitte. Ich wecke sofort den gnädigen Herrn..."
Nach zwanzig Sekunden meldete sich der Butler erneut. Seine Stimme klang verwundert. „Bedaure, Sir. Aber Sir Macolm ist nicht zu Hause. Ich bleibe auf, bis er zurückkommt, damit er sofort das Museum anrufen kann. Darf ich erfahren..."
Ashton legte auf. Das Klopfen seines Herzens nahm zu. Sir Macolm befand sich hier im Haus, das unterlag keinem Zweifel. Er war in die Wohnung eingedrungen, um sich seines gefährlichsten Gegners zu entledigen. Ashton zog die Pistole aus der Tasche. Er glaubte zu wissen, was ihn geweckt hatte: es mußte das Geräusch eines brechenden Fensters, einer sich öffnenden Tür gewesen sein.
Ihm fiel auf, daß die Vorhänge an den Fenstern nicht geschlossen waren. Vom Garten her konnte man ihn gut sehen. Er bildete ein hervorragendes Ziel. Ashton knipste das Licht aus und setzte sich in den Armlehnstuhl. Das Zimmer hatte nur einen Zugang: die Tür zur Halle.
Diese Tür besaß die Eigenart, leise zu quietschen. Harvey hatte sie schon einige Male geölt, aber das Quietschen war stets wieder durchgekommen. Wenn der „Unheimliche" versuchen sollte, das Zimmer durch diese Tür zu betreten, so konnte das nicht unbemerkt geschehen. Ashton hatte sich so gesetzt, daß er die zum Garten weisenden Fenster im Auge behalten konnte.
Er fieberte vor Erregung, weil er zu spüren glaubte, daß sich die Entwicklung dem Kulminationspunkt näherte. Aber als Minute um Minute verstrich, ohne daß sich das geringste ereignete, wurde er allmählich ruhiger. Seine Gedanken ordneten sich. Er überlegte, ob er nicht das Opfer falscher Kombinationen geworden sein
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