Der unheimliche Kommissar Morry
ihm einfiel, mit welchen beißend hohnvollen Sätzen er die Arroganz des .Meisters' zerfetzen konnte. Meister. Es war lachhaft . . . nach allem, was sich bisher ereignet hatte. Was war das schon für ein Meister, der an der Aufmerksamkeit eines Achtjährigen scheitern konnte?
Stunde um Stunde verrann, ohne daß sich das geringste ereignete. Es war eine wenig belebte Straße, und Ashton war dankbar für die kleinste Abwechslung, die sich seinen Augen bot. Er flirtete ein bißchen mit einem hübschen Dienstmädchen, das im Vorgarten des Nachbargrundstückes den Rasen harkte, und er pfiff bewundernd, als zwei flotte Teenager kichernd vorbeikamen und ihm neugierige Blicke zuwarfen.
Plötzlich zuckte er zusammen. Aus dem Autoradio drangen zweimal kurz hintereinander kratzende Störgeräusche, die laut und deutlich das Musikprogramm übertönten. Die Störgeräusche erklangen im Rhythmus des internationalen Seenotrufes.
Er schluckte und warf einen Blick auf Sir Macolms Haus. Es stand, von der goldenen Abendsonne übergossen, still und friedlich in dem gepflegten Park. Lauerte hinter einem der Fenster Sir Macolm auf sein Opfer? War er durch einen Hintereingang ins Haus gekommen? Bemühte er sich ein letztes Mal, durch diesen grausamen Scherz seinem Ruf als der ,Unheimliche" gerecht zu werden?
Nein, das konnte nicht sein. Für Sir Macolm gab es in diesem Augenblick keinerlei Grund, sich zu verraten. Aber wie erklärten sich die merkwürdigen SOS-Geräusche, auf die er am Morgen so fieberhaft gewartet hatte?
Er stieg aus und schloß den Wagenschlag hinter sich. Ihm war eingefallen, daß er für einen guten Gewehrschützen ein fabelhaftes Ziel bot. Wenn Macolm von einem der Fenster aus schoß, mußte er unweigerlich treffen. Straßenpassanten würden die zusammengesunkene Gestalt am Lenkrad unter Umständen für einen schlafenden Chauffeur halten. Und nach dem Einbruch der Dunkelheit konnte der Mörder dann sein Opfer unbemerkt beseitigen . . .
Ashton ging auf das Haus zu. Er klingelte. Der Butler öffnete.
„Ist Sir Macolm zurück?“
„Noch nicht, Sir. Aber er hat angerufen."
„Aus Brighton?"
„Ja, Sir."
„Wann?"
„Etwa vor einer Stunde."
„Haben Sie ihm von meinem Besuch berichtet?"
„Ja, Sir."
„Hat er gesagt, wann er zurück sein wird?“
„Nein, Sir."
„Danke, das genügt."
Ashton ging zum Wagen zurück. Er fühlte wieder den faden Geschmack im Mund.
Sir Macolm war jetzt gewarnt. Er wußte Bescheid. Wie würde er darauf regieren?
Ashton blieb neben dem Wagen stehen. Es hatte keinen Zweck, in der Stadt herumzufahren und bei angestrengtem Nachdenken die Nerven zu verschleißen. Er wandte sich mit einem Ruck um und marschierte auf die Tür des Hauses zu. Er klingelte. Als der Butler die Tür öffnete, schob er ihn kurzerhand beiseite und trat ein.
„Führen Sie mich ins Arbeitszimmer!"
„Mein Herr . . .!" sagte der Butler protestierend.
„Ich habe mich entschlossen, die Rückkehr Sir Macolms hier im Haus abzuwarten."
„Ich bedaure, Sir. Ich habe keine Befugnis, Besucher im Arbeitszimmer des gnädigen Herrn warten zu lassen. Wenn Sie es wünschen, können Sie gern im kleinen Salon Platz nehmen."
„Okay."
Der Butler führte Ashton in den kleinen Salon und fragte dann mit eisiger Miene, ob er dem Besucher etwas anbieten dürfe.
„Nein, danke."
Nachdem sich der Butler zurückgezogen hatte, fand Ashton Zeit, sich in dem Raum umzublicken. Er war mit Stilmöbeln eingerichtet. Man spürte, daß der Besitzer ein Mann mit Sinn für Wohnkultur war. Ashton erinnerte sich, daß der ,Meister' eine kultivierte Stimme besessen und auf diese Weise klargemacht hatte, daß er zu einer gehobenen Schicht gehörte.
Es dämmerte. Im Zimmer verdichteten sich die Schatten. Da sich der Butler nicht sehen ließ, stand Ashton auf und knipste das Licht an. Die Warterei zerrte an seinen Nerven. Immer, wenn ihn Zorn und Unmut zu überwältigen drohten, machte er sich deutlich, daß sich sein Gegenspieler in einer bedeutend schlechteren Lage befand. Das half. Einmal hörte er irgendwo im Hause das Telefon klingeln. Wenige Minuten später erschien der Butler.
„Der gnädige Herr hat angerufen", berichtete er. „Er wird in einer Viertelstunde hier sein."
„Vielen Dank."
Trotz der Voranmeldung verging eine weitere halbe Stunde, bevor Ashton in der Halle Stimmen hörte. Dann näherten sich Schritte dem Zimmer. Vor der Tür verhielten sie ein paar Sekunden; kurz darauf ging die Klinke nach unten. Die Tür
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