Der Unheimliche
folgte
ihr. Sein Gesicht sah wild entschlossen aus. Sein Rücken war mir zugekehrt,
aber auch Jo hatte mich nicht gesehen, da sie zu sehr damit beschäftigt war,
sich seinem Angriff zu entziehen.
»Was ist denn los, Baby?«
fragte der Untersetzte. »Du bist doch wohl das verrückteste Call-Girl, dem ich
jemals begegnet bin!«
»Es kommt wohl daher, daß ich
eine Anfängerin in diesem Geschäft bin«, rief Jo unsicher. Sie machte wieder
einige Sprünge um den Tisch herum. »Du mußt mir etwas Zeit lassen!«
Ich trat hinter ihn und
bediente mich wieder des kurzen raschen Schlages mit dem Kolben. Es folgte der
übliche krachende Laut, als er sein Ziel traf, und der untersetzte Kerl verlor
jedes Interesse an seiner Beute.
»Endlich!« Jo tat einen tiefen
Atemzug und maß mich mit einem kalten Blick. »Du hast dir aber Zeit gelassen!
Noch drei Minuten, und...«
»Und du hättest angefangen,
deine hundert Dollar zu verdienen«, erwiderte ich.
»Du hältst das alles wohl für
sehr komisch, Al Wheeler!« sagte sie verbittert.
Ich packte die Füße des
Untersetzten, zerrte ihn aus dem Zimmer, den Flur entlang und vor die Tür. Jo
folgte mit einem Blick gespannter Erwartung.
»Was hast du vor?« fragte sie.
»Ihnen die Kehle durchzuschneiden?«
» Vergiß doch bitte nicht immerfort, daß ich dazu ausersehen bin, Gesetz und Ordnung
aufrechtzuerhalten«, sagte ich.
Der Cadillac stand noch immer
neben dem Thunderbird unter dem Garagendach. In beiden Wagen steckten die
Schlüssel. Eins läßt sich von Cadillacs auf jeden Fall sagen: an Platz ist
nirgends gespart. Und das gilt auch für den Kofferraum. Er nahm den
untersetzten Kerl ebenso wie den langen ohne jede Schwierigkeit in sich auf.
Ich schloß ihn ab und steckte
den Schlüssel in meine Tasche.
»Wird ihnen nicht die Luft
ausgehen?« fragte Jo besorgt.
»Das dauert eine Weile«,
erwiderte ich. »Bevor wir weggehen, öffne
ich natürlich wieder.«
Wir gingen ins Haus zurück.
»Wo fangen wir an?« fragte Jo.
»Das Wohnzimmer ist nicht der
geeignete Raum, eine Leiche aufzubewahren«, meinte ich. »Bei genauerer Überlegung
gibt es nicht viele Zimmer in einem Haus, in denen man einen Leichnam
verstecken könnte. Mit Ausnahme eines Lagerraums oder eines Kellers
vielleicht.«
»Ob es hier einen Lagerraum
gibt, weiß ich nicht«, sagte sie. »Aber ich weiß, daß das Haus einen Keller
hat. Ich habe gehört, wie Eli mit seinen Weinen prahlte — der Weinkeller ist
dort unten.«
»Dann geh voraus, Dexter!«
forderte ich sie auf.
Sie biß sich auf die
Unterlippe. »Es führte eine Treppe neben der Tür zur Küche hinunter.« Ihre
Stimme klang nun wieder einigermaßen unsicher. »Es ist ja doch mehr ein Spaß,
nicht wahr, Al, daß du hier nach einer Leiche suchst?«
»Wie der Vampir zu seinem Opfer
sagte«, und ich rollte die Augen, »es ist ein Spaß ganz besonderer Art.«
»Al!« Jo schloß die Augen. »Hör
auf!«
Wir fanden die Treppe zum
Keller, und ich ging hinunter, Jo dicht auf meinen Fersen. Am Ende der Treppe
befand sich eine schwere Tür mit einer starken Kette und einem Hängeschloß davor.
Im Geiste vergegenwärtigte ich
mir alle Anschuldigungen, die Kaufman bereits gegen mich vorbringen konnte. Die
vorsätzliche Beschädigung von Privateigentum schien mir nicht mehr sehr ins
Gewicht zu fallen, wenn ich sie mit meinen übrigen Verfehlungen verglich.
Ich nahm die 38er aus der
Halfter und sprengte das Schloß durch einen Schuß. In dem engen Raum klang es,
als sei das Ende der Welt angebrochen.
»Hast du keine Ohrenwatte?«
fragte Jo mit belegter Stimme, als der Widerhall verklang. »Ich brauche sie, um
die beiden Löcher auszufüllen, wo bisher meine Trommelfelle saßen.«
Die Tür hatte sich in ihren
Angeln ein wenig gedreht. Ich stieß sie mit meinem Fuß an, und sie sprang auf.
Ich trat in den Keller und tastete an der Wand entlang, bis ich den
Lichtschalter gefunden hatte. Helles, fluoreszierendes Licht durchflutete den Keller.
Jo ergriff meinen Arm und hielt sich dicht an mich, während ich weiterging.
Es war fraglos ein ganz
normaler Weinkeller, mit Kisten, die in regelmäßigen Abständen an der Wand
entlang aufgestapelt standen.
Jo stieß erschauernd einen
Seufzer der Erleichterung aus. »Wenigstens hier unten kein Leichnam.«
»Wir haben uns ja noch gar
nicht umgesehen«, antwortete ich. »Möchtest du vielleicht lieber oben warten?«
»Nein!« erklärte sie bestimmt. »Meine
lebhafte Phantasie würde mir das Warten nicht gerade
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