Der unmoegliche Mensch
dauern würde, bis die Leichen ins Meer hinausgespült sein würden. In seinen Träumen von Leptis Magna waren diese traurigen Bewohner der Kloake nicht enthalten gewesen. Plötzlich schrie er wieder.
»Monate? Der da nicht!«
Er zeigte auf die Leiche eines Mannes in einem weißen Anzug, der auf der einen Seite, etwas weiter oben im Kanal trieb. Seine langen Beine waren von Schaum und Wasser bedeckt, aber sein Oberkörper und die Arme waren sichtbar. Über dem Gesicht lag der Seidenschal, den Mallory bei ihrer letzten Begegnung getragen hatte.
»Mallory!« Halliday stand auf, als die schwarzgekleidete Gestalt des Chauffeurs zehn Meter über ihm auf einen Sims trat. Er ging hinüber zu Gabrielle Szabo, die auf der Stufe stand und auf das Meer hinauszustarren schien. »Das ist Dr. Mallory! Er hat mit mir zusammen in Columbine Sept Heures gewohnt! Wie kam er… Gabrielle, Sie wußten, daß er hier war!«
Halliday packte ihre Hände und riß sie in seiner Erregung heftig zu sich, so daß ihre Brille herunterfiel. Als sie in die Knie fiel und hilflos danach tastete, faßte Halliday sie an den Schultern. »Gabrielle! Gabrielle, Sie sind…«
»Halliday!« Mit gesenktem Kopf nahm sie seine Finger und drückte sie in ihre Augenhöhlen. »Mallory, er hat es getan – wir wußten, er würde Ihnen hierher folgen. Er war einmal mein Arzt, ich habe Jahre gewartet…«
Halliday stieß sie von sich. Seine Füße zertraten die Sonnenbrille auf dem Steinboden. Er sah hinab auf die weißgekleidete Gestalt, die von den Wellen umspült wurde, und überlegte, was für ein Alptraum sich wohl unter dem Schal über seinem Gesicht verbarg. Dann sprintete er über die Terrasse, an dem Auditorium vorbei und rannte durch die dunklen Straßen davon.
Als er bei seinem Peugeot ankam, war der schwarzgekleidete Chauffeur nur zwanzig Meter hinter ihm. Halliday ließ den Motor an und fuhr durch den Staub davon. Im Rückspiegel sah er, wie der Chauffeur stehenblieb und eine Pistole aus seinem Gürtel zog. Als er schoß, zerschlug die Kugel die Windschutzscheibe. Halliday schleuderte gegen einen der Kioske, bekam aber den Wagen wieder in die Gewalt und raste mit eingezogenem Kopf davon. Die kalte Nachtluft blies ihm Stückchen von der undurchsichtigen Scheibe ins Gesicht.
Drei Kilometer hinter Leptis hielt er an, als von dem verfolgenden Mercedes nichts zu sehen war, und schlug die Windschutzscheibe heraus. Auf seiner Fahrt nach Westen wurde die Luft wärmer, und der Tag kam vor ihm herauf mit seiner Verheißung von Licht und Zeit.
Die Zeit des Laufes
Sonnenlicht flutete zwischen den Blumen und Grabsteinen und verwandelte den Friedhof in einen hellen Skulpturengarten. Wie zwei große magere Krähen lehnten die zwei Totengräber zwischen den Marmorengeln auf ihren Spaten, und ihre Schatten fielen im Bogen über die glatten weißen Flanken eines der neuen Gräber.
Die Goldschrift war noch frisch und blank.
JAMES FALKMAN
1963 – 1901
»Das Ende ist nur der Beginn.«
Geruhsam begannen sie den frischen Rasen abzustechen, dann montierten sie den Grabstein ab, schlugen ihn in eine Segeltuchplane ein und legten ihn hinter die Gräber in der nächsten Reihe. Biddle, der ältere der beiden, ein hagerer Mann in einer schwarzen Weste, zeigte auf das Friedhofstor, wo die erste Gruppe des Trauergefolges ankam.
»Sie sind schon da. Wir müssen uns ins Zeug legen.«
Der jüngere Mann, Biddles Sohn, sah der kleinen Prozession entgegen, die sich zwischen den Grabreihen heranschlängelte. Der süße Geruch von frisch aufgeworfener Erde stieg ihm in die Nase. »Sie kommen immer zu früh«, murmelte er nachdenklich. »Es ist merkwürdig, daß sie nie pünktlich sind.«
Eine Uhr schlug von der Kapelle zwischen den Zypressen. Flott arbeitend warfen sie die weiche Erde aus und häuften sie am Kopfende des Grabes zu einem sauberen Kegel auf. Einige Minuten später, als der Küster mit den nächsten Angehörigen ankam, lag das polierte Teakholz des Sarges bloß, und Biddle sprang auf den Deckel hinunter und schabte die feuchte Erde ab, die an der Messingumrandung haftete.
Die Zeremonie war kurz, und die zwanzig Trauernden, angeführt von Falkmans Schwester, einer weißhaarigen Frau mit einem schmalen, autokratischen Gesicht, die sich auf den Arm ihres Gemahls stützte, kehrten bald in die Kapelle zurück. Biddle gab seinem Sohn ein Zeichen. Sie wuchteten den Sarg aus dem Grab heraus, luden ihn auf einen Karren und schnallten ihn fest.
Weitere Kostenlose Bücher