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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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langwierigen Erschöpfung und den Beschwerden der vergangenen Wochen befreit. Sein Schritt wurde flott und fest, seine Gesichtsfarbe hellte sich auf, ein weicher Hauch von Rosa kam auf die Wangen, und er lief geschäftig im Haus herum.
     Nach einem Monat kehrte seine Schwester in ihre eigene Wohnung zurück, weil er nun für sich selbst sorgen konnte; die Haushälterin nahm ihre Stelle ein. Nachdem er sich in seinem Haus neu eingerichtet hatte, erwachte bei Falkman ein lebhaftes Interesse für die Außenwelt. Er mietete sich einen bequemen Wagen mit Chauffeur und verbrachte die meisten Winternachmittage und -abende in seinem Klub; bald war er Mittelpunkt in einem weiten Bekanntenkreis. Er wurde Präsident einer Reihe von Wohlfahrtkomitees, wo seine Gemütsruhe, seine Toleranz und gute Urteilskraft ihm viel Respekt eintrugen. Er hielt sich jetzt aufrecht, sein graues Haar wuchs üppig, hier und da mit etwas Schwarz durchsetzt, und das Kinn hob sich kräftig von sonnengebräunten Wangen ab.
     Jeden Sonntag besuchte er morgens und abends den Gottesdienst in der Kirche, wo er seinen eigenen Stuhl hatte, und war ein wenig traurig darüber, daß die Gemeinde nur aus älteren Leuten bestand. Aber er entdeckte selbst, daß das durch die Liturgie gezeichnete Bild sich immer mehr von seinen eigenen Erinnerungen entfernte, je mehr diese verblaßten, und allzubald zu einer bedeutungslosen Scharade wurden, die er nur durch ein Glaubensbekenntnis akzeptieren konnte.
     Einige Jahre später, als er immer ruheloser wurde, entschloß er sich, die ihm angebotene Teilhaberschaft an einer führenden Börsenmaklerfirma anzunehmen.
     Viele seiner Bekannten im Klub nahmen auch Stellungen an und gaben das geruhsame Leben in Rauchsalon und Wintergarten auf. Harold Caldwell, einer seiner engsten Freunde, wurde als Professor für Geschichte an die Universität berufen, und Sam Banbury wurde Geschäftsführer im Hotel Swan.
     Die Zeremonie zu Falkmans erstem Tag an der Börse war würdig und eindrucksvoll. Drei jüngere Männer, die ebenfalls in die Firma eintraten, wurden von dem Seniorpartner, Mr. Montefiore, den versammelten Mitarbeitern vorgestellt, und jeder von ihnen erhielt als Geschenk eine goldene Uhr zur Versinnbildlichung der Jahre, die er in der Firma arbeiten würde. Falkman erhielt einen geprägten silbernen Zigarrenkasten und viel Applaus.
     Die nächsten fünf Jahre warf sich Falkman mit ganzem Herzen in seine Arbeit und wurde mit zunehmendem Appetit für die materiellen Freuden des Lebens extrovertierter und aggressiver. Er wurde ein eifriger Golfspieler; dann, als die Bewegung seinen Körper gestärkt hatte, spielte er seine ersten Tennisspiele. Als ein einflußreiches Mitglied der Geschäftswelt verlebte er seine Tage in einer angenehmen Folge von Konferenzen und Diners. Er ging nicht mehr zur Kirche und begleitete statt dessen an den Sonntagen die attraktiveren Damen aus seiner Bekanntschaft zu Rennen und Regatten.
     Um so überraschter war er daher, als eine anhaltende Niedergeschlagenheit ihn zu plagen begann. Obwohl sie keinen erkennbaren Ursprung hatte, vertiefte sie sich langsam, und er ging abends nicht mehr gern aus dem Haus. Er trat von seinen Posten in den Komitees zurück und ging nicht mehr in den Klub. In der Börse fühlte er sich dauernd abgelenkt und stand stundenlang am Fenster und starrte hinaus auf den Verkehr.
     Schließlich, als seine Arbeit darunter zu leiden begann, schlug ihm Mr. Montefiore vor, einen unbefristeten Urlaub zu nehmen.
     Eine Woche lang schritt Falkman teilnahmslos in dem riesigen leeren Haus umher. Sam Banbury besuchte ihn oft, aber gegen Falkmans Leid half nichts. Er zog die Jalousien herunter, legte einen schwarzen Anzug mit schwarzem Binder an und setzte sich mit ausdruckslosem Gesicht in die Bibliothek.
     Endlich, als seine Depression den Tiefpunkt erreicht hatte, ging er zum Friedhof, um seine Frau abzuholen.

    Nachdem sich die Trauergemeinde zerstreut hatte, blieb Falkman vor der Sakristei stehen, um dem Totengräber Biddle ein Trinkgeld zu geben und ihm ein paar nette Worte über seinen kleinen Sohn zu sagen, einen engelhaften Dreijährigen, der zwischen den Grabsteinen spielte. Dann fuhr er in dem Auto hinter dem Leichenwagen nach Mortmere Park zurück, den Rest des Trauergefolges hinter sich.
     »Eine großartige Beteiligung, James«, sagte seine Schwester anerkennend. »Zwanzig Autos insgesamt, die privaten nicht mitgezählt.«
     Falkman dankte ihr. Dabei musterte er

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