Der unmoegliche Mensch
Vater kritisierte offen, daß er seine Stellung aufgegeben hatte, aber die Feindseligkeit zwischen ihnen verlor sich, als er Falkman immer mehr zu beherrschen begann. Er beschnitt seine Freiheit und kürzte das Taschengeld, ja, er verbot ihm sogar, mit einigen seiner Freunde zu spielen. In der Tat war Falkman durch die Übersiedlung zu seinen Eltern in eine völlig neue Welt eingetreten.
Als er in die Schule kam, hatte er sein bisheriges Leben schon fast völlig vergessen. Seine Erinnerung an Marion und das große Haus, wo sie von Dienerschaft umgeben gelebt hatten, war völlig getilgt.
Während seines ersten Schuljahres war er in einer Klasse mit den älteren Jungen, die von den Lehrern noch als Gleichgestellte behandelt wurden, aber wie seine Eltern begannen auch sie, ihren Einfluß auf ihn mit den Jahren zu verstärken. Gelegentlich rebellierte Falkman gegen diesen Versuch, seine Persönlichkeit zu unterdrücken, aber am Ende beherrschten sie ihn völlig, überwachten sein Tun und formten seine Gedanken und seine Sprache. Der ganze Ausbildungsprozeß, erkannte er undeutlich, war dafür da, ihn auf die merkwürdige Dämmerwelt seiner frühesten Kindheit vorzubereiten. Man löschte absichtlich jede Spur von Feinsinn, zerstörte mit den dauernden Wiederholungen und geisttötenden Übungen all seine Sprach- und Rechenkenntnisse, ersetzte sie durch eine Kollektion von Reimen und Liedchen und konstruierte daraus eine künstliche Welt von totalem Infantilismus.
Am Ende, als der Ausbildungsprozeß ihn fast auf die Stufe eines lallenden Kleinkindes geführt hatte, schalteten sich seine Eltern ein und nahmen ihn von der Schule weg. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er zu Hause.
»Mama, darf ich bei dir schlafen?«
Mrs. Falkman sah zu dem ernst blickenden kleinen Buben herab, der seinen Kopf gegen ihr Kissen lehnte. Liebevoll kniff sie ihn in sein eckiges Kinn und tippte ihrem Mann auf die Schulter, als er sich rührte. Trotz des Altersunterschiedes zwischen Vater und Sohn waren ihre Körper sehr ähnlich. Sie hatten die gleichen breiten Schultern und breiten Köpfe, das gleiche dicke Haar.
»Heute nicht, Jamie, aber vielleicht bald.«
Der Junge sah die Mutter aus großen Augen an und konnte sich nicht erklären, warum sie weinte. Er dachte, daß er vielleicht an eines der Tabus geraten war, die auf alle Jungen in der Schule eine so starke Anziehungskraft ausgeübt hatten, das Mysterium ihrer endgültigen Bestimmung, das von ihren Eltern sorgsam verhüllt wurde und das sie selbst nicht mehr begreifen konnten. Inzwischen hatte er schon die ersten Schwierigkeiten beim Gehen und beim Essen. Er torkelte unbeholfen, und seine leise, piepsige Stimme stolperte über die Zunge. Langsam schwand sein Wortschatz, bis er nur noch den Namen seiner Mutter kannte. Als er nicht mehr aufrecht stehen konnte, trug sie ihn auf dem Arm und fütterte ihn wie einen alten Invaliden. Sein Geist umwölkte sich, nur einige Konstanten für Wärme und Hunger durchzogen ihn nebelhaft. Solange er konnte, hielt er sich an seine Mutter.
Kurze Zeit später besuchten Falkman und seine Mutter für einige Wochen die Geburtsklinik. Nach ihrer Rückkehr blieb Mrs. Falkman einige Tage im Bett, aber allmählich lief sie freier umher und warf langsam das zusätzliche Gewicht ab, das sie bei der Entbindung aufgenommen hatte. Etwa neun Monate nach ihrer Rückkehr aus der Klinik, eine Zeit, während der sie und ihr Mann dauernd an ihren Sohn gedacht hatten, an die gemeinsam zu tragende Tragödie seines nahenden Todes, der ihre eigene bevorstehende Trennung ankündigte und sie einander näherbrachte, begaben sie sich auf ihre Hochzeitsreise.
Die Gioconda des Mittagszwielichts
»Diese verfluchten Möwen!« beklagte sich Richard Maitland bei seiner Frau. »Kannst du sie nicht verjagen?«
Judith stand hinter dem Rollstuhl, und ihre Hände flatterten um seine verbundenen Augen wie nervöse Tauben. Sie spähte über den Rasen zum Flußufer hinüber. »Versuch nicht an sie zu denken, Liebster! Sie sitzen bloß dort.«
»Das ist es gerade!« Maitland hob seinen Rohrstock und schlug heftig in die Luft. »Ich kann spüren, wie sie alle dort draußen sitzen und mich beobachten.«
Sie waren für die Rekonvaleszenzzeit in das Haus seiner Mutter gezogen, zum Teil, weil sie annahmen, der Reichtum an visuellen Erinnerungen würde Maitland helfen, die zeitweilige Blindheit zu ertragen – eine kleine Augenverletzung hatte sich entzündet und
Weitere Kostenlose Bücher