Der Unsichtbare Feind
Lehrbuch gingen ihm durch den Kopf:
Gehen Sie besser davon aus, dass es einen einzigen pathologischen Prozess hinter den vom Arzt beobachteten Symptomen gibt, wie verschiedenartig sie auch sein mögen, anstatt anzunehmen, dass gleichzeitig und ohne Zusammenhang verschiedene Krankheiten vorliegen.
Aber er erinnerte sich auch an die Worte seiner anderen großen Lehrerin. »Halte den Rest des Lebens nicht für genauso simpel«, hatte ihn Luana immer ermahnt, wenn er sich wieder einmal zu sehr in seine klinische Denkweise vertiefte. Er ertappte sich dabei, wie er überlegte, was sie wohl zu der Geschichte gesagt hätte.
»Ich befürchte, ich habe noch mehr schlechte Nachrichten«, sagte Sullivan.
Er wartete darauf, dass sie weitersprach, aber es entstand nur eine lastende Stille. Er musterte sie, und ihm wurde klar, dass er sich keine Frau vorstellen konnte, die selbstsicherer war und sich besser unter Kontrolle hatte. Ihre äußere Erscheinung – eine anspruchslose, einfache Frisur, kein Make-up, wenigstens soweit er es beurteilen konnte, und unauffällige, pastellgrüne Kleidung – ließ auf eine Frau schließen, die mit sich selbst im Reinen war. Sogar die Steine, die sie in den Ohren trug, waren zurückhaltend im Vergleich zum Funkeln ihrer smaragdgrünen Augen. »Und?«, fragte er aufmunternd, nachdem er ihr dabei zugesehen hatte, wie sie ein- oder zweimal schluckte und mehrmals neu ansetzte. Es musste etwas sehr falsch laufen, wenn es einer Frau wie ihr so schwer fiel zu reden.
»Greg Stanton hat mich heute Morgen in sein Büro gebeten – eine seiner Sieben-Uhr-Spezialeinladungen.«
»Oh je. Mit oder ohne Frühstück?«
Sie grinste. »Mit.«
»Ui!«, neckte er sie.
»Ich glaube, der Haken ist, dass Sie bald für eine Einladung ohne Frühstück dran sind.«
»Was?«
»Sie und ich haben ein gemeinsames Problem. Es sieht so aus, als ob Sydney Aimes darauf aus ist, mich zu diskreditieren und an Ihnen ein Exempel zu statuieren.«
Im Laufe der nächsten Minuten versteinerte sein Gesichtsausdruck immer mehr, während er hörte, was die Universitätsleitung mit ihm vorhatte. Als sie fertig war, war er am Boden zerstört. Einige Sekunden lang sagte er nichts, und sie hörte nur die Geräusche der Notfallstation um sich herum – das Piepsen der Monitore, das Gemurmel der Gespräche zwischen Patienten und Personal, das Würgen von jemandem, der sich übergeben musste.
»Himmel, ich wusste, dass sie nicht glücklich sein würden, aber ich hätte im Traum nicht gedacht, dass ich meine Arbeit verlieren würde«, sagte er mit ganz schwacher Stimme. Es schmerzte sie, die Bitterkeit in seinen Augen zu sehen. »Und Greg ist bereit, das zuzulassen?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Eigentlich nicht. Er wird sie so lange zurückhalten, wie er kann«, erwiderte sie.
»Und wozu soll das gut sein?«
»Es wird mir Zeit geben, herauszufinden, welche Geheimnisse sich in den Proben verbergen. Ich bekomme sie morgen aus Frankreich. Vielleicht wissen wir dann, wogegen wir angetreten sind.« Sie konnte seiner erstarrten Miene nicht ansehen, ob ihr Vorhaben ihm irgendeinen Trost verschafft hatte. Tatsächlich schien er von der Aussicht, seine Arbeit zu verlieren, vollkommen überwältigt zu sein. Sie fragte sich, ob er sich überhaupt darüber im Klaren war, dass sie möglicherweise immer noch im Fadenkreuz waren und in Lebensgefahr schwebten.
»Was kann ich tun?«, fragte er nach ein paar Sekunden, und seine Stimme klang so weit entfernt, als ob sie von der anderen Seite der Wand käme.
Während sie seine teilweise entblößte Brust und den Rest unter diesem dünnen Hemdchen musterte, kamen ihr eine ganze Reihe fantastischer Möglichkeiten in den Sinn. Auf gute irische Art hatte die Aussicht auf den Tod in ihr immer eine rebellische Leidenschaft geweckt, die Fleischeslust zu feiern. Doch sie erwiderte nur: »Im Moment nichts. Halten Sie nur Ihren scharfen Verstand für mich warm. Ich habe den Verdacht, dass wir ihn brauchen werden, um alle Teile zusammenzusetzen, sobald ich die ersten Ergebnisse bekomme. Wie ich schon Greg Stanton gesagt habe, haben Sie die Chance, einen unvoreingenommenen Blick auf die Dinge zu werfen, weil Sie auf meinem Gebiet ein Außenseiter sind.
Aber Sie werden Ihre Grundkenntnisse in Molekularbiologie auffrischen müssen. Ich werde Ihnen ein paar Bücher schicken – es sind echte Türstopper, also werde ich die Abschnitte markieren, die Sie bitte lesen sollen.« Dann wünschte
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