Der Unsichtbare Feind
sie ihm eine gute Nacht, tätschelte aufmunternd seine Hand und verließ die Station.
Ein paar Minuten später unterwies ihn ein Krankenpfleger in der hohen Art des Gehens mit Krücken. Obwohl er sie im Laufe der Jahre tausenden von Patienten verordnet hatte, fand er sie ätzend.
13
Mittwoch, 24. Mai, 17.00 Uhr
»Mutter Gottes«, murmelte Sullivan, als sie die Proben ausgepackt hatte, die Racine auf dem Gelände von Agriterre Incorporated entnommen hatte. Sie waren am Spätnachmittag des folgenden Tages angekommen, in eine lange Kühlbox aus Styropor verpackt, genau wie er es versprochen hatte. Nur dass sie die volle Länge eines sechs Meter langen Arbeitstisches bedeckten, als sie sie vor sich ausgebreitet hatte.
Racine hatte ihre Anweisungen präzise befolgt und ihr einzelne Päckchen mit Erde, Wurzeln und, je nach Art der Vegetation an einem bestimmten Ort, Gras oder Stiele und Blätter geliefert. Und sie waren alle in regelmäßigen Abständen entlang der Gebäudewände oder in verschiedenen Entfernungen davon entnommen worden, ebenfalls so, wie sie es gewünscht hatte. Aber im Gegensatz zu ihrem heimlichen Besuch bei Agrenomics hatte sein offizieller, unbeschränkter Zugang zu Agriterre über 1.200 einzelne Proben erbracht, die alle untersucht werden mussten.
»Wir werden mit den Proben anfangen, die am dichtesten am Gebäude entnommen wurden«, erklärte Sullivan über die Schulter Azrhan Doumani und den vier Laborassistenten, die sie als Mitarbeiter für dieses Projekt ausgewählt hatte. »Alle Vektoren, die vorhanden sind, werden logischerweise dort in den höchsten Konzentrationen zu finden sein. Den Rest werden wir zunächst einmal einlagern müssen. Ich fürchte, wir haben eine lange Nacht vor uns; also wenn jemand Sie zu Hause erwartet, rufen Sie besser an.«
Sie legten rasch fest, wer was erledigen würde, und begannen mit den Arbeiten, die inzwischen schon Routine geworden waren. Einige füllten kleine Probenmengen in Mörser und gaben jeweils einen Schuss flüssigen Stickstoff hinzu. Der weiße Dampf waberte über ihre Gummihandschuhe, während sie die Materie so lange mit dem Stößel zerrieben, bis sie zu einer feinen Masse geworden war. Andere unterzogen das pulverisierte Material anschließend der chemischen Wäsche und trennten in der Zentrifuge die Chromosomen, die wie schmierige Seifenreste auf Badewasser trieben, vom Abfall. Doumani und Sullivan übernahmen die Aufgabe, dieses Treibgut abzufiltern, und unterzogen die darin enthaltene DNA einem Prozess des Zerschneidens und Vervielfältigens. Dazu wurde sie mit einem ganzen Arsenal von Restriktionsenzymen behandelt, die dazu dienten, die gesamte Bandbreite von DNA-Vektoren nachzuweisen, die weltweit in Studien aufgetaucht waren; nicht nur diejenigen, die für den Blumenkohl-Mosaik-Virus spezifisch sind. Das bedeutete zusätzliche Arbeit, denn sie würden jetzt jede Probe fast ein Dutzend Mal testen.
Innerhalb einer Stunde brachten sie die ersten 50 dieser Lösungen auf dünne Streifen von Elektrophorese-Gelen auf und bereiteten sie so für die Reise durch ein spezielles elektrisches Feld vor, das die einzelnen DNA-Stückchen entsprechend ihrer Größe und ihres Molekulargewichts verschieden weit durch das Gel wandern ließ; ein Vorgang, der bis zum Morgen dauern würde. Und sie hatten erst fünf Sätze von Proben aus der gesamten Ladung bearbeitet.
»Nur noch elfhundertfünfundneunzig«, witzelte Sullivan und grinste Doumani an, als sie den Elektrophorese-Apparat einschaltete. Es war ein frei stehendes Gerät, nur wenig größer als eine Kopiermaschine, das hoffentlich Pierre Gastons Geheimnis lüften würde.
Er lächelte nur matt zurück und fuhr fort, ein Gel für die nächste Probe vorzubereiten.
Komisch, dachte sie, ich hätte erwartet, dass er genauso vor Aufregung platzen würde wie ich selbst. »Geht es Ihnen gut, Azrhan?«
»Natürlich, Dr. Sullivan. Ich bin nur ein wenig müde, das ist alles«, antwortete er rasch und wich ihrem Blick aus.
Sie glaubte ihm nicht. Seitdem sie aus Honolulu zurückgekehrt war, hatte er sich immer so benommen, als ob er durch irgendetwas abgelenkt würde, und sein ›Ich bin nur müde‹ erklärte überhaupt nicht die Größe der geschwollenen Ringe unter seinen Augen, die sich in letzter Zeit gebildet hatten. Sie hatte ihn schon einmal darauf angesprochen – vor ein paar Tagen, als er einer ihrer Doktorandinnen bei einem Forschungsprojekt geholfen und einen entscheidenden Versuchsschritt
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