Der Unsichtbare Feind
verfolgen, wer dafür verantwortlich ist, egal ob sie bei Agrenomics oder woanders sitzen.«
Sie sah ihn voller Erstaunen an. Hinter ihm quoll dicker Nebel, weiß wie wässrige Milch, gegen die Scheiben und verhüllte auch die nächstliegenden Gebäude. Der Anblick erinnerte sie an eine kreidige Medizin, die ihr ihre Mutter als Kind immer gegeben hatte, und ihr wurde leicht übel.
»Entweder sind Sie unglaublich dumm, Greg Stanton, oder Sie glauben, dass ich es bin«, entgegnete sie. »Mich auf Linie zu halten, ist das Ihre neueste Methode, sicherzugehen, dass die Biotech-Industrie nicht damit droht, weitere Mittel zurückzuziehen? Und in der Zwischenzeit profitiert die medizinische Fakultät von uns beiden.«
Bevor er antworten konnte, stand sie auf, drehte sich auf dem Absatz herum und verschwand durch die Tür.
Mann, ich brauche einen Kaffee, dachte sie, als sie im Foyer aus dem Fahrstuhl stieg. Sie trat auf die Straße und ging, ohne auf ihre Umgebung zu achten, zu einer Espressobar im Gebäude gegenüber. In Bodennähe war der Nebel zu einer grauen Emulsion verdünnt, der ihr Gesicht sogar angenehm kühlte. Aber er kühlte nur wenig ihren Ärger darüber, dass Stanton versucht hatte, sie zum Aufgeben zu bewegen. Der Mann hatte Nerven, derartig unverschämt ein doppeltes Spiel zu betreiben, nur weil ein Gangster wie Aimes seine Kunden dazu bringt, ihr Geld für Erpressungen einzusetzen!
Sie betrat das Café, bestellte einen Kaffee und setzte sich an einen Tisch, wo sie Steele sehen würde, wenn er herauskam. Während die Sahne auf die dampfende Oberfläche ihres Kaffees traf, sie bis zum Rand der Tasse steigen ließ und in der dunklen Flüssigkeit weiße Ranken bildete, fragte sie sich, wie weit der gute Herr Dekan noch gehen würde, um seine wertvollen Zuwendungen abzusichern. Sie rührte den schwarzbraun marmorierten Wirbel um und trieb die Überlegung noch etwas weiter. Wenn zum Beispiel Aimes und seine Kunden zu einer kleinen gemeinsamen Erpressung fähig waren, warum sollten sie nicht auch bereit sein, sich auf eine nette kleine Bestechung einzulassen? Zur Hölle, vielleicht hat Stanton deswegen eben diesen Zirkus aufgeführt. Diese Hundesöhne könnten ihm tatsächlich angeboten haben, ihre Zahlungen zu erhöhen, solange er dafür sorgt, dass ich mich gut benehme. Und der gute Herr Dekan könnte angenommen haben.
Nein, das ist Unsinn. So prinzipienlos ist er sicherlich nicht, sagte sie sich und tat einen dritten Löffel Zucker in ihren Kaffee, der inzwischen zum Milchkaffee geworden war. Aber sie war immer noch wütend auf ihn und konnte nicht aufhören, das Schlimmste über seine Taktik zu denken. Sie fragte sich, ob er nur deshalb darauf bestanden hatte, regelmäßig über jedes einzelne Detail auf dem Laufenden gehalten zu werden, damit er sie unter Kontrolle hatte. »Scheißkerl«, murmelte sie und dachte weiter über diese Möglichkeit nach, während sie an der sirupsüßen Flüssigkeit nippte. Ihr leerer Magen nahm das heiße Getränk begierig auf und knurrte so laut, dass sie befürchtete, die Leute am Nebentisch könnten es hören. Innerhalb weniger Minuten strömte die Mischung aus Koffein und Glukose durch ihr Gehirn, aber anstatt ihre üble Laune zu heben, brachte die Nervennahrung eine Hypothese zum Vorschein, die düsterer war als alles, was sie bis dahin vermutet hatte.
Was ist, wenn er meine Fortschritte nicht nur aus allgemeinem Interesse verfolgt, sondern um mich aufzuhalten, bevor ich auf irgendetwas stoße, was ich nicht finden soll? Immerhin habe ich ihm gerade berichtet, dass ich die Proben auf die Vektoren des Impfstoffes testen will, und ein paar Stunden später sind diese Schläger da.
Ihr Atem verlangsamte sich. Hatte er wirklich absichtlich diese Angreifer auf das Labor gelenkt oder wissentlich die Informationen an denjenigen weitergegeben, der das getan hatte? Gab es eine Geldzuwendung, die so groß war, dass sie ihn dazu gebracht haben könnte, so weit zu gehen?
Wie sehr sie es auch versuchte, so konnte sie doch diesen Gedanken nicht ganz von der Hand weisen, und der Verdacht schlug in dem fruchtbaren Boden ihrer Unsicherheit Wurzeln. »Wir sind Idioten«, murmelte sie, als ihr nach und nach klar wurde, dass sie gerade ihr Wissen über das geheime Pathologie-Labor genau dem falschen Mann anvertraut hatte.
Sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren, und sah auf ihre Armbanduhr. Komm schon, Richard, wieso brauchst du so lange? Wir müssen unbedingt miteinander
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