Der Unsichtbare Feind
hing er an seinem aufgespießten Bein und wurde über den Boden geschleift, bis er gegen die Scheunenwand knallte. Er brüllte vor Schmerzen, ließ seine Waffe zu Boden fallen, hielt sich mit der einen Hand fest und ruderte verzweifelt mit dem anderen Arm, um die Hacke zu fassen zu bekommen.
Kathleen ignorierte sein Heulen und Schluchzen, trat hinaus, hob die Waffe auf und suchte das Feld nach seinem Partner ab. Er lief in ihre Richtung, war jedoch noch gut hundert Meter von ihr entfernt. Sie drehte sich nach rechts um und sprintete zum anderen Ende der Scheune. Während sie um die Ecke bog, hörte sie ein Geräusch, als ob eine Wespe direkt neben ihrem Ohr vorbeiflog.
»Scheiße!«, schrie sie und beschleunigte noch ihren Lauf in Richtung Haus und die Straße dahinter, während der Wind ihr kräftig ins Gesicht blies. Sie japste kurzatmig nach Luft, und ihre Lunge brannte vor Sauerstoffmangel. Auf längerer Strecke würde sie ihrem Verfolger nicht davonlaufen können.
Verzweifelte Pläne schwirrten ihr durch den Kopf. Das Haus, schätzte sie, war etwa 60 Meter entfernt. Sie könnte sich auf seiner Rückseite verstecken und ihn mit der Waffe auf Abstand halten, bis die Polizei kam, sagte sie sich. Aber als sie einen Blick auf den ungewohnten Gegenstand in ihrer Hand warf, war sie nicht einmal sicher, ob sie die Waffe abfeuern konnte. Auf dem Griff befanden sich mehrere kleine Knöpfe, wovon einer wahrscheinlich die Sicherung war, und sie hatte keine Zeit herauszufinden, welche Funktionen die anderen hatten.
Vielleicht konnte sie es bis zur Straße schaffen und einen vorbeikommenden Wagen anhalten. Bei ihrem vorherigen Besuch war ihr die Strecke bis dorthin nicht sehr weit vorgekommen. Sie warf einen schnellen Blick über die Schulter und sah noch nichts von ihm. Vielleicht war er dageblieben, um seinem Freund zu helfen, anstatt hinter ihr herzulaufen. Eine winzige Hoffnung regte sich in ihr.
Dann erinnerte sie sich an Hacket und sein Gewehr. Würde er vorn beim Haus auf sie warten? Blitzartig verlangsamte sie ihren Lauf und spähte wieder argwöhnisch zu den Vorhängen am Fenster hinauf. Sie entdeckte keine Spur von ihm hinter den silbrigen Spitzen, stellte sich aber vor, dass er dort wahrscheinlich auf der Lauer lag. Geh dicht unten an das Fundament der Mauern, wo er kein freies Schussfeld hat!, schrien ihre Instinkte. Sie beschleunigte wieder und rechnete jeden Moment damit, dass eine Kugel sie durchbohren würde. Aber während sie die Beine fliegen ließ, schien der Abstand zwischen ihr und der Vorderwand des Hauses immer größer zu werden, als ob sie sich in einem Albtraum befand. Sie warf rasch einen Blick hinter sich, um zu sehen, ob von dort der Tod nahte, immer noch niemand. Dennoch begann sie, im Zickzack zu laufen, und hoffte so, ihnen kein Ziel zu bieten. Und währenddessen lauschte sie die ganze Zeit angestrengt auf den ersten, schwachen Sirenenton. Aber außer ihrem eigenen Atem übertönte nichts das Rauschen des Windes.
Es können erst ein paar Minuten vergangen sein, seit ich angerufen habe, versuchte sie sich immer wieder zu beruhigen, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie verfluchte sich jetzt selbst dafür, dass sie sich nicht an die genaue Adresse erinnert hatte. Was war, wenn die Angabe ›Hackets Farm‹ nicht ausreichte, um sie zu finden? Die Polizei konnte ihr Handy nicht zurückverfolgen. Vielleicht waren sie noch gar nicht auf dem Weg.
Bittere Galle stieg ihr in den Mund, als sie diese Möglichkeit begriff, und auch die letzten Reste von Hoffnung, vielleicht doch noch zu entkommen, wurden zerstört. Während sie unter dem ersten von mehreren Fenstern im Erdgeschoss vorbeischlich, erstickte sie fast an der sauren Flüssigkeit, und schließlich bekam sie einen Hustenanfall, geriet ins Stolpern und verlor beinahe den Halt. Noch einmal blickte sie zurück, und diesmal sah sie, wie ihr Verfolger hinter der Ecke der Scheune hervorschoss und auf sie zurannte. Lichtblitze schossen in Hüfthöhe in die Dunkelheit zwischen ihnen, und die Luft über ihr summte wie ein ganzer Schwarm wütender Hornissen.
Dieser Angriff raubte ihr den letzten Rest von Verstand. Sie entdeckte die nächstliegende Deckung – die offene Tür des Haupteingangs, ein paar Meter zu ihrer Linken. Sie handelte nur noch instinktiv, drehte sich dorthin und hechtete in den bedrohlichen, dunklen Flur. Sie nahm kaum den Schmerz wahr, als sie sich bei der Landung Knie und Arme aufschürfte, konnte an nichts anderes
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