Der Unsichtbare Feind
langen Blätter dicht aneinander auf und ab schwingen und schickten ein Rasseln wie von Fingernägeln auf einem Waschbrett durch die offenen Fensterflügel. Bei all diesen Geräuschen brauchte er einige Sekunden, bis er hörte, dass Sandra Arness neben ihm leise weinte.
Er drehte sich zu ihr um und sah im Mondlicht die elegante Linie ihres nackten Rückens, ihrer Hüfte und Beine, die ihn am Abend zuvor so sehr entflammt hatte. Nur dass diese Frau jetzt vor ihm zitterte und anstelle von Verlangen nur Mitleid mit ihr erregte.
Ihre Liebesnacht war ein Desaster gewesen. Sie begannen leidenschaftlich, umklammerten sich gierig, während er ihren Körper mit Händen und Mund erforschte, wie ein lange ausgehungerter Mann sich auf die erste Mahlzeit stürzt, die man ihm anbietet. Sie reagierte genauso und drängte ihn, sie überall zu streicheln, und half ihm, die Stellen zu finden, wo sie es besonders gern hatte, und sie führte ihn rasch von einer Stelle zur nächsten. Aber trotz ihrer Bereitschaft stöhnte sie nicht vor Lust, und ihre Rufe, dass er sie hier berühren sollte, und da, wurden langsam verzweifelt, als ob nichts von dem, was er probierte, Wirkung zeigte. Als er schließlich in sie eindrang, war sie trocken. Er wollte sich zurückziehen, weil er befürchtete, dass er sie verletzen würde, aber sie wurde noch rasender und verlangte, dass er weitermachen sollte, presste sich wie eine Wahnsinnige gegen ihn und flehte ihn ununterbrochen an, härter zu stoßen, bis Steeles eigenes Verlangen wie auch seine Kraft erlahmten. Außer Form, verwirrt, dass er sie nicht zum Höhepunkt bringen konnte, und verlegen, dass seine eigene Libido sich verlor, hörte auch er einfach mit seiner rhythmischen Bewegung auf.
»Soll ich gehen?«, fragte er sie und fühlte sich ungeheuer elend wegen seiner jämmerlichen Vorstellung.
»Nein! Geh nicht weg«, beharrte sie und zog ihn an sich.
»Vielleicht können wir es später noch einmal versuchen?«
Sie hatte nicht geantwortet – sie lag nur in seinen Armen und starrte in die Dunkelheit.
Er hatte ihr Haar und ihren Rücken gestreichelt, bis sie einschlief und sich von ihm wegrollte. Zu der Zeit fiel ihm im Mondlicht, das durch die vorbeiziehenden Wolken drang, auf, dass ihr Schlafzimmer, wie auch das übrige Haus, aussah, als ob niemand darin wohnte – alles war sehr ordentlich, nichts lag herum, keine Bücher, CDs oder Zeitschriften, die ein Nest verrieten, wo sie sich entspannen und gehen lassen konnte. Das Fehlen persönlicher Fotos ließ den Ort noch steriler wirken, obwohl eine Reihe unverblasster, rechteckiger Flächen an den Wänden in ihm die Frage aufkommen ließen, ob dort einmal etwas gehangen hatte, das sie nicht mehr ansehen wollte. Der Klinikarzt in ihm vermutete, dass die peinliche Ordnung ihrer Umgebung wahrscheinlich widerspiegelte, wie sie ihr restliches Leben organisierte, übermäßig strukturiert, streng kontrolliert und jegliche Erinnerung an die Vergangenheit daraus verbannt – im Endeffekt dieselbe Strategie, die er selbst verfolgte, um die schreckliche Verzweiflung, die er in jener Nacht erlebt hatte, von sich fern zu halten. Aber die Frau ist so zerbrechlich wie Porzellan, und der Sex hat diese sorgfältig errichteten Verteidigungslinien durchbrochen und Gott weiß welches Leid freigesetzt, diagnostizierte er, kurz bevor er einschlief, und bereute, dass er überhaupt da hineingezogen worden war.
Dass er sie jetzt weinen sah, bestärkte ihn nur in seiner vorherigen klinischen Einschätzung. Er versuchte, seinen kalten, sezierenden Medizinerblick davon abzuhalten, weiter in ihrem Leid zu wühlen, sie zu klassifizieren und einzuordnen, solange sie nackt beieinander lagen, aber er hätte genauso gut versuchen können, nicht mehr zu atmen. Das trainierte Gehirn eines Arztes kann niemals wirklich einen möglichen Krankheitsfall vorbeigehen lassen, ohne ihn zunächst gründlich zu durchleuchten, selbst wenn es um jemanden geht, der einem sehr vertraut ist. Und so ging der Denkprozess weiter, obwohl er es obszön fand, bis er sie schließlich als eine Frau in einem sehr erregten Geisteszustand sah, die professionelle Hilfe brauchte, und nicht mehr als die mögliche Geliebte, mit der er ins Bett gestiegen war. Er spürte, dass sich ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen ihnen auftat, und fragte so sanft, wie er nur konnte: »Sandra, was kann ich tun?«
»Nichts«, flüsterte sie und wandte ihm weiter den Rücken zu. »Niemand kann etwas für mich
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