Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
tun.«
    »Warum? Erzähl mir, was los ist. Du glaubst doch sicher nicht, dass es an dir liegt, dass mein Versuch, mit dir zu schlafen, so stümperhaft war –?«
    »Richard, ich bin nicht so oberflächlich«, wies sie ihn zurecht. »Ich rede von Trauer. Als ich dich kennen gelernt und gehört habe, wie du selbst damit kämpfst, und als ich dann gemerkt habe, dass du mich begehrst, habe ich gedacht, dass ich vielleicht meiner eigenen Hölle entkommen könnte, nur für eine Weile, vielleicht sogar für eine ganze Nacht. Offensichtlich kann ich das nicht. Ich glaube nicht, dass ich das jemals kann.«
    »Trauer? Ich dachte, du hast gesagt, dass du geschieden bist. Dein Mann ist tot?« Seine Fragen kamen ihm immer mehr vor, als ob er eine Krankengeschichte aufnahm.
    Sie antwortete nicht sofort. »Nein. Ich habe ein Kind verloren«, sagte sie schließlich. Es war kaum mehr als ein Flüstern. »Meinen lieben, kleinen Tommy, vor über anderthalb Jahren. Er ist der Junge, der von der Hühnergrippe umgebracht wurde, über die ihr den ganzen Tag geredet habt.«
    Steele bekam einen trockenen Mund.
    »Er war gerade erst drei Jahre alt geworden«, fuhr sie fort. »Seitdem ist jede Minute eine Qual gewesen, war alles, was ich gemacht habe, bedeutungslos. Der einzige Seelenfrieden, den ich finde, liegt in den wenigen Sekunden, wenn ich aufwache und mich noch nicht daran erinnert habe, dass er tot ist. Ich nehme an, ich bin einer von den Menschen, für die sich das alles nie ändern wird – die nie ›darüber hinwegkommen‹. Ich weiß, wie sie sind. Ich habe sie in meiner Praxis gesehen. Wir sind die lebenden Toten.«
    Steele suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, aber sie sprach weiter.
    »Ich bin aus den gleichen Gründen zu dieser Konferenz gegangen, aus denen die Angehörigen eines Mordopfers an der Hinrichtung des Killers teilnehmen. Ich dachte, es würde mir helfen, zur Ruhe zu kommen, wenn ich sehe, wie die Experten mir erklären, warum mein Sohn gestorben ist, wenn ich sie dabei beobachte, wie sie demonstrieren, dass sie wenigstens seinen Mörder besiegt haben, wie sie die Macht meines Berufes über diese abscheuliche Krankheit ausüben!« Ihr Ton wurde plötzlich bitter, und ihre Schultern bebten, als sie wieder zu weinen begann. »Es hat kein bisschen geholfen«, schluchzte sie. »Nichts kann etwas daran ändern, dass ich ihn so sehr vermisse. Überhaupt nichts.«
    Steele brachte keinen Laut heraus. Ein Leben, in dem er die Lebenden wegen ihrer Toten trösten musste, hatte ihn gelehrt, dass es keine Worte gab, die Eltern über den Tod eines Kindes hinwegtrösten können, so sehr er auch nach ihnen gesucht hatte. »Es tut mir so Leid, Sandra«, flüsterte er, rückte näher heran und legte den Arm um sie, um sie festzuhalten. Im selben Augenblick war sie kein psychologisches Objekt mehr für ihn, sondern eine Mutter, wie er ein Vater war, eine Frau, die eine Agonie durchlebt hatte, die ihm hoffentlich erspart bleiben würde. »So unendlich, unendlich Leid«, wiederholte er. Trotz der Hitze war sie kalt wie Eis.
    Als er wieder erwachte, hatte sie das Bett verlassen. »Sandra?«, rief er.
    Keine Antwort.
    Er sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. 2:10 Uhr morgens. Er hatte kaum eine Stunde geschlafen. »Sandra?«, rief er wieder, lauter diesmal, und stand auf. Dann sah er sie nackt auf der niedrigen Steinmauer stehen, die den Rand ihres Balkons bildete. »Sandra!«, schrie er und rannte zu der gläsernen Schiebetür, die sie voneinander trennte. Sie blieb mit dem Rücken zu ihm stehen, mit leicht gespreizten Beinen, gerade so, wie sie gestanden hatte, als er sie zum ersten Mal sah, aber jetzt floss ihr langes, schwarzes Haar, das nicht mehr zum Zopf geflochten war, ihren Rücken hinab.
    Als er die Tür aufriss, spürte er die volle Wucht des Windes und hörte, wie sich eine Lawine aus Wasser auf den Korallenstrand weit unter ihnen ergoss. »Sandra, um Gottes willen!«, flehte er und sprintete über die zehn Meter, die sie trennten.
    Ihre Haut war in Mondlicht gebadet, und sie sah so weiß aus wie Marmor und ebenso undurchdringlich. Ob sie durch das Tosen der Wellen hörte, dass er sich näherte, erfuhr er nie. Bevor er sie ergreifen konnte, beugte sie die Knie, machte einen weiten Kopfsprung und verschwand in einem perfekten Flug hinter dem Mauerrand.
    »Sie hatten verdammtes Glück, dass er Sie nicht hinter diesem Sofa entdeckt hat«, sagte der zuständige Detective.
    »Ich weiß«, erwiderte Kathleen

Weitere Kostenlose Bücher