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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
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waren wegen des Regens geschlossen.
    Er versuchte, sich sein Bein anzusehen. Das Bluten hatte nicht nachgelassen, und sein linkes Hosenbein war bereits völlig durchnässt. Der Schmerz wurde von Minute zu Minute stärker. Während er sich wieder mit nur einer Hand festhielt, gelang es ihm, das Hosenbein weit genug hochzuschieben, um die Stelle freizulegen, wo der Hund ein Stück herausgebissen hatte. In dem Rest von Tageslicht, das von draußen hereinfiel, sah er eine U-förmige Masse ausgefransten Fleisches und zerrissener Muskelfasern, überströmt von dunkelrotem Blut. Hauptsächlich venös, dachte er und griff nach dem Hosenbein, um das Material als Kompresse auf die Wunde zu drücken. Solch eine elementare Verletzung aller Regeln der Sterilität ließ ihn fast genauso zusammenzucken wie der Schmerz. Ich werde einen Lastwagen voller Antibiotika brauchen, lamentierte er und wusste, dass er sich jetzt mit größter Sicherheit infiziert hatte. Aber als das poröse Gewebe das Blut auf der Oberfläche aufgesogen hatte, wurde ihm klar, dass er ein dringenderes Problem hatte.
    Ein leuchtend roter Strahl vom Durchmesser eines Bleistiftes sprudelte tief aus der Wunde hervor. »Scheiße!«, rief er laut aus. Ohne zu zögern, griff er mit den Fingern in die Wunde. Das Brennen verdreifachte sich auf der Stelle, und er schrie mit zusammengebissenen Zähnen auf und musste heftig schlucken, um die plötzliche Welle von Übelkeit zurückzukämpfen, die ihn überfiel. Er fuhr fort, mit den Fingern zu sondieren, und verfolgte den warmen Strom bis zu seiner Quelle. Er folgte der Anatomie, schob die Finger zwischen die schlüpfrigen Wölbungen des Wadenmuskels und schrie gequält auf, als er durch seine Berührung einen Krampf auslöste. Aber er hielt den Atem an, fuhr tiefer hinein und hakte im Geiste weitere Merkmale ab, als er an ihnen vorbeikam – Blutgefäße, Bänder, sogar einen Nerv, der sich mit einem elektrischen Schlag bis in seinen Fuß hinab bemerkbar machte, als er ihn unabsichtlich gegen den darunter liegenden Knochen drückte. Er begann wild zu keuchen, am ganzen Körper brach der Schweiß aus, und in seinem Kopf drehte sich alles so sehr, dass er glaubte, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Dennoch konzentrierte er sich weiter auf den pulsierenden Blutfluss an seinen Fingerspitzen, bis er ihn zu dem pumpenden Blutgefäß am Ursprung der Blutung geführt hatte. Er bereitete sich darauf vor, dass es gleich sehr schmerzen würde, drückte dann fest mit seinem Daumen zu und fixierte so die zerfetzte Arterie genau an der Stelle der Verletzung gegen die Rückseite seines Schienbeines. Er stieß seinen bisher lautesten Schrei aus und musste erneut dagegen kämpfen, sich zu übergeben, während eine Schmerzwelle nach der anderen in seinem Bein anschwoll und die Fangzähne unter ihm weiter wie ein Paar dämonischer Kastagnetten in der Luft um seinen Kopf herum zuschnappten.
    Er drehte die Augen wieder in Richtung 42. Straße. »Helft mir! Ich blute wie verrückt«, rief er, doch seine Stimme war bereits ziemlich erschöpft.
    Die Hunde unter ihm sprangen immer noch wütend hoch. Der Verkehrslärm hielt unvermindert an. Der Regen, der jetzt noch dichter fiel, war ohrenbetäubend.
    »Um Gottes willen, helft mir«, wiederholte er und hatte bereits fast die Hoffnung verloren, dass ihn irgendjemand hören würde. Ihm schossen wirre Gedanken durch den Kopf. Wie lächerlich, dass er sterben würde, weil ihn ein Hund gebissen hatte! Und dass das in New York passieren sollte, erschien ihm doppelt absurd. Dass er Chet nicht wiedersehen würde, traf ihn wie ein Schlag, und mit einem Mal war er fest entschlossen, zu überleben.
    Aber in dem Maße, wie seine Kraft nachließ, schien sich seine Entschlossenheit, durchzuhalten, in einen vergänglichen, zum Scheitern verurteilten Impuls zu verwandeln, und der Gedanke, zu entkommen, wurde eine jämmerliche Fantasie. Er sah sich mit der einen, letzten Entscheidung konfrontiert, die er in seiner Lage noch treffen konnte – wie er sterben würde. Es ist besser, erst in einen Schockzustand zu geraten, überlegte er kühl, um der Bewusstlosigkeit so nahe wie möglich zu sein, bevor ich schließlich den Hunden zum Opfer falle. Nur fühlte er sich so benebelt und wirr im Kopf und durch die Schmerzen so entkräftet, dass er keine Ahnung hatte, wie lange er sich noch auf dem Gitter festklammern konnte. Um überhaupt hoffen zu können, so lange durchzuhalten, wie es dauern würde, bis er weit genug

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