Der unsichtbare Killer
klatschte in die Hände. »Wer ist hier das Miststück? Ehrlich. Und jetzt, bitte. Angela muss sich erst mal einfinden. Es war eine lange Reise.«
»Du schläfst in dem Zimmer neben meinem«, sagte Olivia-Jay. »Komm.« Sie zog Angela mit sich zum Lift, der diskret hinter der geschwungenen Treppe verborgen lag.
Ihr Zimmer befand sich im sechsten Stock, ein großer, quadratischer Raum mit einem polierten Steinfußboden auf zwei Ebenen, dessen Wände mit Goldsamt bezogen waren. Ein Zwei-Sterne-Interieur in einem Fünf-Sterne-Gebäude, dachte sie erheitert. Aber die langen Glaswände öffneten sich zu einem eigenen Balkon, von dem aus sie einen Blick nach Südwesten und auf den phantastischen Wasserfall hatte.
»Deine Sachen sind in dem Schrank da. Sie sind auch im Netz des Herrenhauses verzeichnet«, sagte Marc-Anthony.
»Aber –« Angela deutete auf ihren Koffer, der bereits neben ihrem runden Bett stand.
»Du trägst hier nicht deine eigenen Kleider«, sagte Olivia-Jay zu ihr. »Sofern du überhaupt was anhast. Arme alte Karah. Sie ist vertraglich verpflichtet, nackt zu sein.«
»Ich habe die Art Kleidung besorgen lassen, die Mr Bartram gefällt«, sagte Marc-Anthony. »Alles in deiner Größe.«
»Woher kennen Sie meine Größe?«
»Ms Aslo hat mir letzte Woche die Angaben geschickt.«
»Oh.«
»Nun, Mr Bartram wird vor heute Abend nicht zurück sein; er ist heute im Institut zur Behandlung. Du kannst dich ausruhen, bis er kommt. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber immer wenn ich durch das Gateway gehe, kommt meine innere Uhr durcheinander.«
»Ja. Danke.«
»Ich werde etwas aussuchen, das für die Vorstellung nachher geeignet ist.«
Angela ging zu ihrer Tasche und nahm ein Interface-Set und ihre Net-Linsen-Brille heraus. »Gibt es einen Zugangscode für das Netz des Herrenhauses? Ich würde meine Mutter gern anrufen und ihr sagen, dass es mir gut geht.«
»Deine Mutter?«, quietschte Olivia-Jay.
Angela schürzte resignierend die Lippen, als sie sich den schwarzen Ohrring ansteckte. »Sie denkt, ich bin noch auf dem Imperial College. Ich will nicht, dass sie spitzkriegt, dass ich aufgehört habe. Noch nicht.«
»Das Herrenhaus hat einen offenen Zugang«, sagte Marc-Anthony. »Deine E-I muss sich einfach registrieren.«
»Danke.«
Angela wartete, bis alle das Zimmer verlassen hatten, dann setzte sie sich auf das Bett. Es überraschte sie nicht, dass es eine Wassermatratze hatte. Ihre E-I stellte einen Anruf zur Adresse des Transnet-Interfaces ihrer Mutter durch. Das »Nicht erreichbar«-Icon tauchte in ihren Net-Linsen auf, und Angela wies ihre E-I an, sich Zugang zur Anrufbeantworterfunktion zu verschaffen. »Hallo, Mom. Ich bin’s. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es mir gut geht. Ich arbeite hart – ha ha. Am Wochenende gehe ich mit ein paar anderen nach West End, sofern ich es mir leisten kann. Aber dieses Unternehmen, von dem ich dir erzählt habe, hat mir noch mehr Arbeit als Hostess angeboten, also werde ich vielleicht endlich wieder etwas Geld haben. Ruf mich an, wenn du wieder zurück bist. Ich liebe dich. Bye.« Sie ließ sich rücklings aufs Bett sinken und leicht von der Matratze wiegen. Natürlich war da niemand am Interface, schon gar nicht ihre Mutter. Es war eine einseitige Verbindung. Was sie sagte, spielte keine Rolle, es gab nicht einmal einen bestimmten Code, den irgendjemand entschlüsseln konnte. Zugang zum Interface zu haben, war selbst die Nachricht, und außerdem eine ganz einfache: Ich bin drin .
Mittwoch, 6. Februar 2143
»Ich werde von hier abhauen«, verkündete Angela ruhig.
Paresh, der auf der anderen Seite des Tisches im Messezelt saß, erstarrte, und die Gabel mit den darumgewickelten Spaghetti blieb auf halbem Weg zum Mund in der Luft hängen. »Was hast du vor?«, flüsterte er zurück. »Ich habe den Auftrag, auf dich aufzupassen und dafür zu sorgen, dass du nirgendwo unerlaubt hingehst. Abgesehen davon ist deine Kleidung markiert.«
»Oh ja, das hatte ich vergessen. Das wird mich natürlich aufhalten. He, könnte ich mir mal deine Schere leihen?«
»Angela!«
»Wenn du mit mir kommst, wirst du keinen Ärger kriegen, weil du mich aus den Augen verloren hast, oder?«
»Hä?«
Sie grinste schelmisch und schob ihm die Gabel mit einem Finger Richtung Mund. Er widersetzte sich nicht.
»Komm schon«, sagte sie, und ihre Augen strahlten vor Lust auf Unfug. »Eine Nacht in der Stadt. Es gibt da richtige Clubs, nicht nur die, in denen sich die
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