Der unsichtbare Killer
bevor sie wieder Sid ansah. »Du erinnerst dich aber daran, dass wir Samstag umziehen, Liebling, ja?«, fragte sie mit leiser, warnender Stimme.
»Ja, ich weiß. Hab ein bisschen Vertrauen.«
»Gut. Denn du wirst am Freitag hier sein und mir beim Packen helfen, damit wir danach alles von oben bis unten saubermachen können.«
»Das können wir eine Firma machen lassen. Wir sind nicht pleite, und du hast ein bisschen Erholung verdient.«
»Sid …« Sie machte sich jetzt aufrichtig Sorgen.
Er ging zu ihr und küsste sie. »Ich meine es ernst. Und jetzt muss ich gehen. Heute Abend wird es vermutlich wieder spät werden. Aber ich rufe dich an und sage dir Bescheid, versprochen.«
»Es ist alles in Ordnung, ja? Die Sache mit dem North?«
»Mir geht’s gut. Und heute Abend werde ich mich zu dir setzen und dir alles darüber erzählen.«
Sid war einigermaßen überrascht, als er vom Aufzug der Market-Street-Wache in den sechsten Stock gebracht wurde. Man musste dazu einen Knopf drücken und einen Code über die E-I eingeben. Er hätte O’Rouke durchaus zugetraut, ihm den Zugang zu beschränken, nicht zuletzt aus dem Grund, dass er am Tag zuvor einfach verschwunden war. Und danach seine E-I angewiesen hatte, sämtliche Anrufe von Kollegen zurückzuweisen, während er bis spät in die Nacht in einem leeren Büro im zweiten Stock saß und arbeitete.
O’Roukes persönlicher Assistent protestierte, als Sid das Vorzimmer des Eckbüros betrat, aber er ignorierte dessen Gemeckere über Terminabsprachen, volle Terminkalender und die Einhaltung des Protokolls. »Ich warte«, sagte er, trat ans Fenster und sah zu, wie der Nieselregen die frühen Pendler durchnässte, die unten die Pilgrim Street entlanghuschten.
Tatsächlich kam O’Rouke pünktlich wie jeden Morgen um acht Uhr fünfzehn. Er trug seine makellose Uniform mit den goldglänzenden Streifen auf den Schultern, die so geschnitten war, dass sie den Bauch kaschierte. Er hielt den Kopf gesenkt und machte ein finsteres Gesicht, als er durch das Vorzimmer in sein Büro stapfte. Da er offensichtlich vorgewarnt war, dass Sid ihm nachstellte, verweigerte er jeden Blickkontakt oder sonst irgendeine Begrüßung. Jenson San flankierte ihn wie eine Art Abfangjäger, der bereit war, jeden möglichen Versuch von Sid abzuwimmeln, um mehr Zeit zu bitten.
»Guten Morgen, Sir, ich muss Sie sprechen«, verkündete Sid mit einer ärgerlicherweise lebhaften Stimme. Er wusste, er sollte versöhnlicher klingen, aber zum Teufel …
O’Rouke ging weiter auf sein Büro und die Zuflucht zu, die es gewährte. Es war nicht so, dass er richtig zögerte, aber er stand dicht davor, denn es war ihm bewusst, dass Sid nicht den geringsten Anlass hatte, derart zuversichtlich zu klingen.
»Ich weiß, wer es war«, sagte Sid.
O’Rouke hatte es noch nicht ganz zur Tür seines Büros geschafft. Diesmal zögerte er. Mit drastischen Folgen.
»Einen Scheiß wissen Sie«, sagte Jenson San. »Sie haben nicht einmal den Bericht erstellt, den Sie anfertigen sollten. Das ist ein Disziplinarvergehen. Noch so eins in Ihrer traurigen Akte.«
»Mein Bericht geht direkt an Ralph Stevens«, sagte Sid. »Ich habe seinen persönlichen und direkten Interface-Code. Möchten Sie wirklich, dass die HDA erfährt, dass ich weiß, wie der Fall gelöst werden kann, und dass Sie der Lösung im Weg gestanden haben?«
»Ich blockiere gar nichts, Sie nutzloser Scheißhaufen«, bellte O’Rouke.
»Gut, dann muss ich die Simulation noch ein letztes Mal laufen lassen.«
O’Rouke machte einen Schritt auf Sid zu; sein rötliches Gesicht verdunkelte sich, woraufhin das Netz aus blauen Adern auf Nase und Wangen noch stärker hervortrat. »Denken Sie, ich weiß nicht, wer Elston dazu gebracht hat, das Immersionstheater zu reaktivieren? Haben Sie das für witzig gehalten? Ja?«
»Ich habe es nicht für witzig gehalten. Ich habe es gebraucht. Und ich habe es bekommen. Das allein war wichtig. Genau wie dies.«
O’Rouke schwieg einen Moment, während er darüber nachdachte, welche Möglichkeiten er hatte. »Was zum Teufel haben Sie gefunden?«
Sid warf erst einen deutlichen Blick auf den persönlichen Assistenten, dann auf Jenson San. »Dieser Fall unterliegt der allerhöchsten Verschlussstufe.«
O’Rouke presste den Mund so fest zusammen, dass er eine blutleere Linie bildete. Sid rechnete halb damit, ihn mit den Zähnen knirschen zu hören.
»Kommen Sie mit«, knurrte O’Rouke und stapfte in sein Büro.
Sid grinste
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