Der unsichtbare Killer
Sonneneruptionen in der Atmosphäre von St Libra hervorgerufen hatten, musste die elektrischen Systeme des Hauses beeinträchtigen.
»Ich muss herausfinden, was mit dem Meer passiert ist«, sagte er zu ihr.
»Ich weiß. Ich höre es auch.«
Sie zogen Bademäntel an und gingen durch die Terrassentüren der Küche hinaus. Als er seine E-I bat, ihm die Zeit anzuzeigen, ließ sie 5:57 Uhr auf seinem Raster aufblitzen. Die Tatsache, dass das komplexere Programm von den Sonneneruptionen nicht beeinflusst wurde, war eine gute Nachricht. Zumindest ein Teil des häuslichen Netzwerkes funktionierte noch.
Draußen vibrierte der Himmel in der Fluoreszenz des Polarlichts, das gewaltige Ströme aus blasser Farbe durch die obere Atmosphäre wogen ließ. Sie waren bedeutend heller als das Licht der Ringe. Saul musste dieser nackten Zurschaustellung von Energie unfreiwillig Bewunderung zollen.
Sie hielten sich immer noch bei den Händen, während sie über die geschützte Veranda auf die vertraute, trockene Wärme des Sandes stiegen. Er war vorerst erleichtert, als er sah, dass sich die Uferlinie an der richtigen Stelle befand. Nicht, dass er wirklich geglaubt hätte, das Meer hätte sich zurückgezogen, aber …
Als sie an die Stelle kamen, an der der Sand feucht wurde, war Sauls erster Gedanke, dass irgendwo Bioil ausgelaufen war. In dem von Elektronen aufgeladenen Licht, das von oben herabfiel, wirkte das Wasser dunkel, ölig, seine Viskosität war durch einen unbekannten Einfluss verändert. Rätselhaft und bedrohlich saugte und gluckerte es aggressiv auf dem Sand. Es gab keine Brandung mehr, die Wellen waren zu einem glatten, langgezogenen Kräuseln geworden, ihre Kraft vermindert, während sie an die Küste glitten. Und schlimmer noch, das Wasser war klumpig.
»Was ist das?«, murmelte Emily beunruhigt. Ihre Hand griff fester nach der von Saul.
Er blickte von den kräuselnden Wellen, die sich bemühten, seine nackten Füße zu erreichen, über die sanfte Dünung bis zu einem Horizont, an dem die Ringe und die Schwaden des Polarlichts um die Oberhand kämpften. Das Meer zeigte überall die gleiche sirupartige Konsistenz. Er atmete einmal tief ein und roch einen scharfen, schwefligen Salzgeruch in der Luft. Und schließlich wurde ihm klar, was er sah.
»Das sind Gallertkugeln«, sagte er ungläubig. »Millionen davon.«
Wie auf dem Land von St Libra gab es auch im Wasser kein tierisches Leben. In den Meeren des Planeten fanden sich weder Fische noch Muscheln noch Plankton. Nicht einmal Korallen. Es gab nur Tang, und die vorherrschende Pflanze, zumindest an den Küsten, war die allgegenwärtige Gallertkugel. Ein gefräßiger, beinahe durchsichtiger eiförmiger Körper so groß wie eine menschliche Hand, der wie ein schlaffer Granatapfel von Samen durchzogen war. Sie wuchs an einem einfachen Band, das im Sand wurzelte. Wenn sie reif war, fiel das Band ab und ließ die Gallertkugel frei, die zur Oberfläche trieb und dem Schicksal von Wind und Gezeiten ausgesetzt war, während sie langsam zerfiel und dabei ihre Samen abwarf.
Das Meer vor Saul war unter einem Teppich aus Gallertkugeln begraben; Millionen, die in einer matschigen, gerinnenden Masse aneinanderklumpten. Irgendwie hatten sie sich alle über Nacht gleichzeitig von ihren Ankerbändern gelöst, ob sie nun reif waren oder nicht. Nun zerfielen sie eine nach der anderen und sättigten das Wasser mit einer schmierigen Lawine von Samen.
»Das ist verrückt«, sagte Emily. »Woher konnten sie das wissen? In den Nachrichten im Transnet haben sie gesagt, dass alle Pflanzen ihre Sporen abstoßen, weil ihre Blätter spüren, wie sich die Sonne verändert. Aber wie sollten Gallertkugeln wissen, dass sie das tun müssen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Saul, vom verwandelten Meer gelähmt und alarmiert. Das ein oder andere Mal hatte er beim Surfen einen Mundvoll beißend scharfer Gallertkugelreste abbekommen, wenn ihn die Dünung untergetaucht hatte. Sie schmeckten widerlich, und wenn man das Zeug hinunterschluckte, musste man schnell zur Küste schwimmen, denn im menschlichen Magen wirkte es unvermeidlich wie ein Brechmittel. Aber es war nicht tödlich, zumindest nicht in den für gewöhnlich kleinen Dosen, mit denen es die Surfer zu tun hatten. Aber das … Das glückliche, nette Camilo Beach wurde nun von einem Meer aus matschigem Gift belagert.
»Wir müssen die Nachbarn warnen«, sagte er bekümmert. »Es womöglich abzäunen, dafür sorgen, dass die Kinder nicht
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