Der unsichtbare Killer
unter Arrest machen«, warf Aldred North ein. »Nicht jetzt.«
»Nein«, pflichtete ihm Sid widerstrebend bei. »Ich werde sie selbst nach oben holen.«
Boris Attenson war ein weiterer Mensch, den Sid perfekt hätte beschreiben können, ohne ihn je getroffen zu haben. Hochgewachsen, mit blondem Haar, das mit seinen einunddreißig Jahren schon langsam dünn wurde. Nur übergewichtig, aber noch nicht aufgequollen, da er eine Mitgliedschaft im alten Rugbyteam seines Colleges hatte. Blasse Haut, überzogen von einer ordentlichen Ladung Sommersprossen, eingecremt, weil die Gastfreundschaft der Konzerne ihren Tribut forderte. Ein geschneiderter Anzug aus elegantem grauem Stoff mit Zickzack-Streifen. Ein maßgeschneidertes Hemd mit dem hohen Kragen, wie er aktuell Mode war, dazu eine Krawatte aus goldener und violetter koreanischer Seide für dreihundert Eurofrancs. Seine Alltagskleidung fürs Büro fand ihre Vollendung in handgenähten Lederschuhen, die vermutlich mehr gekostet hatten als ein neuer Satz Reifen für Sids Toyota Dayon.
Die Anwältin, die ihn begleitete, Chantilly Sanders-Watson, hätte seine große Schwester sein können. Seine schlauere Schwester, verbesserte sich Sid, als sich das Symbol ihrer beruflichen ID auf seinem Raster öffnete. Sie war Partner bei Rattigan, Herandez und Singh, einer Kanzlei, die allen Beamten der Market Street, die sich mit öffentlichkeitswirksamen Fällen herumquälen mussten, nur zu gut bekannt war. Wenn man sie sich leisten konnte, war es, als würde man sich einen Gefängnis-verlassen-Gutschein kaufen.
»Weshalb ist meine Verlobte festgenommen worden?«, wollte Boris wissen.
»Wurde sie nicht«, sagte Sid in einem Tonfall, der zu dem von Boris passte.
Der Banker blinzelte überrascht und warf Chantilly Sanders-Watson einen hilfesuchenden Blick zu.
»Könnten Sie mir bitte Miss Packers Status verraten, Detective Hurst«, fragte die Anwältin ruhig.
»Sie ist in Gewahrsam genommen worden, um uns bei unserer Ermittlung zu unterstützen. Ihre Zustimmung ist freiwillig erfolgt, mit der Option, während des Verhörs auf rechtliche Beratung zurückzugreifen.«
»Natürlich will sie einen verdammten Anwalt!«, brauste Boris auf.
»Welche Ermittlung ist das?«, fragte Chantilly Sanders-Watson.
Sid machte eine Geste, die den ganzen Empfangsraum der Wache einschloss, in dem etliche gestresste und aufgelöste Angehörige um den Tisch versammelt waren. Drei Verdächtige, die von Agency-Constables begleitet wurden, warteten darauf, dass das Protokoll aufgenommen wurde. »Vielleicht würden Sie das lieber oben in einem abgeschirmten Büro besprechen?«
»Danke sehr«, sagte Chantilly Sanders-Watson.
Der Sergeant am Empfang tupfte ein Smartdust-Tag für einen vorübergehenden Zugang zum Gebäude auf die Hand der beiden Besucher, und sie marschierten gemeinsam in den wartenden Aufzug. »Bis jetzt gehen wir nicht davon aus, dass Miss Packer eine kriminelle Handlung begangen hat«, erklärte Sid. »In ihrer Wohnung wurde jedoch eine begangen.«
»Wovon reden Sie da?«, fragte Boris. »Ich war gestern Abend erst selbst dort. Ihre Schlägertrupps sind in ihr Büro gestürmt und haben sie wie eine gemeine Verbrecherin herausgezerrt. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie das ihren Ruf geschädigt hat?«
»Sie meinen, Mr Darcy wird ihre Einladung zum Abendessen absagen?«, fragte Sid unschuldig.
»Jetzt hören Sie mal, Sie –«
Chantilly Sanders-Watson legte warnend eine Hand auf Boris’ Schulter. »Welche kriminelle Handlung?«
»Mord.«
»Das ist anmaßend! Tallulah hat niemanden umgebracht. Sie sind widerwärtig, wenn Sie nahelegen, dass sie daran beteiligt war. Ich werde euren ganzen verdammten Haufen für diese Verleumdung verklagen.«
Sid redete nicht mehr mit Boris Attenson. »Ich bin gerade aus ihrem Apartment im St James zurückgekommen«, sagte er zu der Anwältin. »Die Forensik schätzt, dass auf dem Boden mindestens zwei Liter Blut vergossen wurden. Und, ja, sie haben bestätigt, dass es menschliches Blut ist.«
»Ich verstehe. In diesem Fall wird Miss Packer bestimmt bei allen Aussagen, die sie macht, eine Vertretung brauchen. Ich werde außerdem die Logdaten des Beamten anfordern, der sie festgenommen hat, um sicherzustellen, dass während der Zeit, in der sie in Gewahrsam genommen wurde, kein unrechtmäßiger Einfluss auf sie ausgeübt worden ist.«
»Ich werde eine beglaubigte Version der Daten für Sie bereithalten«, versprach Sid in der wilden Hoffnung,
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