Der unsichtbare Killer
als wäre der Wasserfall dem Winter schlagartig erlegen.
Vance atmete tief aus und dankte dem Guten Herrn dafür, dass er sie verschont hatte. Er blickte die Schlucht entlang nach Osten, wo Sarvar lag. Dann schaute er nach Westen. Es war kein Unterschied zu erkennen. Der Canyon zog sich wie eine mächtige Narbe durch das Land, gewährte ihnen keinerlei Unterstützung.
»Und wie – ja, wie im Namen Ihres dummen Gottes – sollen wir da runterkommen?«, fragte Karizma.
Vance brauchte einen Moment, um sich zusammenzureißen; seine Geduld hing angesichts ihrer ständigen Angriffe auf seinen Glauben an einem seidenen Faden. »An der niedrigsten Stelle. Wir schicken die MTJs zum Auskundschaften in beide Richtungen den Canyon entlang und warten, was sie finden.«
Zu seiner Überraschung erhob Karizma keinerlei Einwände. Er fing an, Befehle zu erteilen.
Die Fahrzeuge zogen sich vorsichtig zurück und parkten etwa zweihundert Meter vom Rand des Wasserfalls entfernt. Sie tankten zuerst die MTJs auf.
»Ich würde gern mein ursprüngliches Team mitnehmen«, sagte Leif zu Elston. »Es geht allen ziemlich gut. Ich weiß, dass Karizma eine Nervensäge ist, aber sie ist kompetent. Wenn es irgendwo einen Weg nach unten gibt, ist sie in der Lage, unsere Möglichkeiten einzuschätzen und zu erkennen, ob es machbar ist.«
Das ergab einen Sinn, auch wenn Vance nicht richtig glücklich damit war. Das ursprüngliche Team bedeutete, dass Karizma, Davinia und Erius, die schärfsten Gegner des Konvois, alle zusammen im MTJ-2 fuhren. Aber selbst mit einem vollen Tank und ein paar Reserveblasen hinten drin würde der MTJ nicht genug Treibstoff haben, um sie bis nach Wukang zurückzubringen. Also sagte er: »Ja. Gute Idee.« Anschließend teilte er Antrinell, Camm, Darwin und Josh Justic dem MTJ-1 zu.
Beide Fahrzeuge erhielten ein Kurzwellenradio, dass Olrg vor ihrer Abreise aus Wukang ausgedruckt hatte. Es war ein primitives System, aber es würde ihnen vielleicht ermöglichen, trotz der elektrisch hoch aufgeladenen Atmosphäre miteinander in Verbindung zu bleiben und hoffentlich Bescheid zu sagen, wenn sie eine Route gefunden hatten.
»Fahrt einen Tag lang«, sagte Vance zu ihnen. »Dann kehrt um, egal was ist. Die Treibstoffsituation ist jetzt heikel geworden. Wenn es innerhalb dieser Entfernung keinen Weg nach unten gibt, müssen wir umkehren.« Er beobachtete Karizma, als er das sagte, aber sie hatte sich so in ihre Kleidungsschichten gehüllt, dass er unmöglich erkennen konnte, wie sie darauf reagierte. Sie blickte zum Canyon; wahrscheinlich glaubte sie, dass sie gewonnen hatte. Es gab keinen Grund, deswegen zu triumphieren.
Die MTJs verließen das Lager um fünf Uhr und schoben sich durch den Nebel, der immer noch aus dem schneebedeckten Dschungel quoll. Das pinkfarbene Licht des Sirius würde ihnen noch eine Stunde zur Verfügung stehen. Falls in der Nacht das Polarlicht in seiner gewöhnlichen Stärke zurückkehrte, würden sie vielleicht sogar weitermachen können. Doch es glaubte niemand daran, im Polar- und Ringlicht am Rand einer zwei Kilometer hohen Klippe entlangzuschleichen.
Kaum fuhren die MTJs los, fielen dicke Schneeflocken vom schwer verhangenen Himmel, ganz entgegen Angelas Vorhersage. Es wehte fast kein Wind, daher schwebten die Flocken sanft auf die Fahrzeuge und Schlitten herab, brachten Stille mit und löschten auch das letzte bisschen Licht, das Sirius noch über den Himmel schickte. Die Scheinwerfer, deren Licht bereits vom trägen Nebel verschluckt wurden, konnten die fallenden Schneeflocken nicht sehr weit durchdringen. Nur wenige Minuten, nachdem es zu schneien begonnen hatte, war der Dschungel zu beiden Seiten des Konvois nicht mehr zu sehen.
Ravi Hendrik hasste das üble, zarte Zeug, das um ihn herum vom Himmel fiel. Er bevorzugte klare und dünne Luft um sich herum; ganz oben, wo man meilenweit sehen konnte und die Krümmung des Planeten am Horizont gut zu erkennen war, wo das Licht hell und weiß war und einen goldenen Schimmer über Ozeane und Wolken gleichermaßen schickte. Es war jetzt lange Zeit her, seit er das letzte Mal geflogen war, und er vermisste es; vermisste die Freiheit, vermisste die Bedeutung, die das Fliegen seinem Leben schenkte. Gleichzeitig machte ihm die Zwickmühle, in der sie saßen, ziemlich Angst, was er auch problemlos zugeben konnte. Man musste schon dumm sein, um die Situation, in der sie sich befanden, nicht zu erkennen. Hätte er nicht so viele Jahre Ausbildung und
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