Der unsichtbare Killer
Anfang Februar wieder bei ihm aufgetaucht war. Aber auch da war sie eine Fremde gewesen, zwanzig Jahre älter und doch immer noch jene Person – jene andere Angela –, die während des Zanthschwarms von New Florida die Stelle seiner vertrauten Frau eingenommen hatte. Diejenige, die ihn nach St Libra geschickt hatte, damit er ihr bei ihrem verrückten Plan half. Dem Plan, zu dem er seine Einwilligung gegeben hatte, weil er seiner winzigen, tragisch-kranken Rebka nichts anderes hatte bieten können …
Wie jeden Morgen, seit er die Nachricht erhalten hatte, saß Saul auch an diesem Tag an seinem Eckplatz im Café Maslen, während furchtbar muntere und altmodische Musik durch die Lautsprecher dröhnte. Der Platz befand sich nahe des Notausgangs, was hieß, dass er von dort die Vordertür im Auge behalten und sehen konnte, wer hereinkam. Angela bestand auf solche Dinge. Sie nannte es Handwerk – geradewegs einem billigen Spionagefilm im Immersionstheater entsprungen. Nie hatte sie gesagt, was er tun sollte, wenn Bartrams Sicherheitsdienst irgendwann einfach hereinplatzen würde.
Aber er folgte trotzdem dem verhassten Plan, den sie ausgeheckt hatte, weil das alles war, das ihm noch geblieben war. Sein ganzes Leben war zu etwas geworden, das er aus einem sicheren Winkel in seinem Kopf betrachtete, während er die Welt durch die großen Fenster wahrnahm, die seine Augen waren, und sein Körper den ihm zugewiesenen Teil spielte und Worte eines Skripts sprach, das sie ihm gegeben hatte.
Es war Vormittag, und Maslen selbst brachte immer noch Bestellungen aus der Küche im hinteren Teil des Cafés an die Tische. Die köstlichsten Kleingebäcke und Törtchen – jedes einzelne ein einzigartiges kleines Meisterwerk – waren kunstvoll in der Glasvitrine arrangiert.
Saul starrte die Teilchen an; er überlegte, ob er noch ein paar von den mit Zuckerguss überzogenen Obsttörtchen essen sollte. Eins mehr würde doch sicherlich nicht schaden. Er hatte schon ordentlich zugelegt, seit er nach Abellia gezogen war. Tagsüber war er mit nichts anderem beschäftigt, als bei Abellia TeleNet zu arbeiten, und machte in den Zeiten, die sonst niemand übernehmen wollte, auch noch Überstunden. Ansonsten hatte er nichts zu tun; ganz sicher war ihm nie danach, Sport zu treiben. Der melancholische Teil seines Geistes, der in letzter Zeit vorherrschte, konnte nicht erkennen, wozu das gut sein sollte. Jedes Mal, wenn er in seine winzige Wohnung in dem umgebauten Lagerhaus am Hafen zurückkehrte, setzte er sich hin und rief irgendein Buch ab; Biographien von historischen Persönlichkeiten interessierten ihn am meisten, oder zumindest einigermaßen, und so arbeitete er sich durch amerikanische Präsidenten und russische Herrscher.
Er rührte in seinem Espresso herum und dachte noch darüber nach, sich ein neues Törtchen zu besorgen, als sie hereinkamen. Angela sah wunderbar aus in ihrem kurzen, smaragdgrünen Sommerkleid und mit den üppigen blonden Haaren, die sich kaum in dem langen, mit Lederstreifen zusammengebundenen Zopf bändigen ließen. Sie wirkte immer noch wie ein Teenager, genau so, wie an dem Tag, als er sie zum ersten Mal im Büro von Massachusetts Agrimech gesehen hatte. Wenn sich überhaupt etwas verändert hatte, wirkte sie jetzt sogar noch jünger, und das lag nicht nur an ihren Eins-Zu-Zehn-Genen, sondern auch an ihrem ungezügelten Enthusiasmus. Ihre Lippen waren angesichts des Neuen, das das Universum bereithielt, stets zu einem staunenden Lächeln nach oben gezogen.
Es war nicht gerecht, dass sie es schaffte, so viel Lebensfreude und Jugendlichkeit auszustrahlen, während er bestenfalls eine mürrische Düsterkeit zustande brachte.
Ein anderes Mädchen war bei ihr. Eine von den anderen Freundinnen . Ebenfalls eine Hure. Die hier war wahrscheinlich wirklich zwanzig. Sie hatte eine dunklere Haut und dicke Haare, trug ein dünnes weißes Baumwolltop und einen dazu passenden Rock, und zeigte zwischen beidem reichlich nackte Taille.
Sie lachten zusammen, unterhielten sich in angeregtem Flüsterton. Sie wirkten ganz und gar so, als wären sie seit Jahren gut befreundet. Angela bestellte sich einen Lemon-Tee, während die andere Maslen nach einem Smoothie fragte. Dann zogen sie einander mit dem Gebäck auf, bevor sie sich zusammen ans Fenster setzten.
Saul gab sich Mühe, nicht hinzusehen. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Sämtliche männlichen Gäste im Café riskierten Blicke, wenn sie glaubten, dass die
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